Im Abseits
Gunter Glücklich
13.10.2022

Da blüht nichts mehr, da geht den Menschen allmählich die Hoffnung aus. Angeregt von einem Freund, betrachtet der im Osten Deutschlands sozialisierte Gregor Sander den alten Westen genauer: Gelsenkirchen,
in einer Art Feldforschung. Er und seine Freunde hatten es satt, dass sich seit Jahren immer wieder westdeutsche Journalisten aufmachen, um die "rätselhaften" Bewohner von Hoyerswerda & Co. zu erkunden und deren Bewusstseinsdefizite aufzudecken. Sander dreht den Spieß um, beschreibt eine niedergegangene Westregion, in der alle Lichter auszugehen scheinen. Ein komisches wie ernstes Buch voller skurriler Charaktere, die beim Bier am Kiosk die Vergangenheit heraufbeschwören, natürlich Schalke 04 im Herzen tragen und sich nicht unterkriegen lassen.

Gregor Sander: Lenin auf Schalke. Penguin. 185 Seiten. 20 Euro

Leona Stahlmann führt mit ihrem Roman in eine Gegend, die auf ganz an­dere Weise im Abseits liegt: in eine Salzmarschlandschaft, wo die Saline längst stillgelegt ist und sich ­allenfalls am Wochenende Techniktouristen einfinden. Mit intensivem Blick taucht sie in eine atemberaubende, von Zerstörung bedrohte (Fluss-)Landschaft ein, bringt die Natur zum Sprechen und stellt mit dem zwölfjährigen Zeno einen eigenwilligen Helden vor, der die Maßstäbe der Erwachsenenwelt nicht zu den seinen macht. Ein verstörendes Buch, das noch einmal von Liebe und Hoffnung erzählt, von einem entlegenen Landstrich, wo Liebe und Hoffnung keine Chance zu haben scheinen.

Leona Stahlmann: Diese ganzen belanglosen Wunder. dtv. 400 Seiten. 22 Euro

Gunter Glücklich

Rainer Moritz

Rainer Moritz ist promovierter Literaturwissenschaftler. Seit 2005 leitet er das Literaturhaus Hamburg. Er ist Essayist, Übersetzer und Autor zahlreicher Bücher, darunter zuletzt "Als der Ball noch rund war" und "Mein Vater, die Dinge und der Tod".
Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.