In meiner kleinen Alltags-Sozialpsychologie war mir das immer klar: Wenn es heiß ist, richtig heiß, sollte man den Straßenverkehr meiden, weil viele Menschen aggressiv sind. Und wenn es dazu noch schwül ist, drückend - sollte man gar nicht mehr rausgehen, dann sind die Leute richtig schlimm drauf.
Nils Husmann
Ich war in diesem Sommer auch oft sauer, wütend, dünnhäutig. Und traurig. Dabei hatte alles so gut angefangen. Im Februar pachteten wir einen Garten, es war das pure Glück, dass wir einen bekommen haben, andere warten Jahre darauf. Was pflanzen wir? Welches Obst tragen die Bäume, die dort wachsen? Also: erst mal eine Pflanzenbestimmungs-App heruntergeladen. Kirschen! Pflaumen! Äpfel! Himbeeren sowieso, den Strauch haben wir auch so erkannt. Naja, erst mal einen Rasenmäher kaufen, Ordnung schaffen.
Gemäht habe ich ganze zwei Mal. Ich weiß nicht, wann es seit Sommerbeginn mal geregnet hat in Frankfurt. Und schon das Frühjahr war viel zu trocken. Der Rasen ist verbrannt, wächst nicht mehr. Die Landschaft sieht trist aus. Die Apfelbäume haben Mini-Äpfel fallen lassen, viel zu früh. Mir macht das Angst. Die Kinder bekommen all das ja auch mit. Die Tochter, neun Jahre alt, fragte mich neulich: "Gehen wir unter, wenn überall das Eis schmilzt?" - "Nein, wir hier nicht, aber ..." Ich wusste nicht, wie ich den Satz vollenden sollte.
Auch extreme Kälte macht aggressiv
Immerhin weiß ich, dass diese Angst nun einen Namen hat - Solastalgie. Und immerhin durfte ich mich darüber mit Franz Alt austauschen, dem Solarpionier. Er hat Lösungen, aber so viele Solarplatten, wie es bräuchte, damit ich wieder Mut schöpfe, kann ich gar nicht aufstellen.
Und nun - zum Ende eines Sommers, über den sich kaum noch jemand freuen konnte - auch noch das: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Hass und Hitze. Nicht nur gefühlt, im Straßenverkehr und anderswo, sondern wissenschaftlich bewiesen: Temperaturen über 30 °C schüren Online-Hass. Forschende am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) haben mehr als vier Milliarden Tweets analysiert, die zwischen 2014 und 2020 in den USA auf Twitter gepostet wurden. Dabei hat eine Maschine geholfen, die Tweets wurden also mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und statistischen Methoden analysiert. Ergebnis: Wenn es besonders heiß war, nahm die Zahl der Hass-Tweets um 22 Prozent zu. Die Hitze macht(e) wild. Die Studie erscheint in "The Lancet Planetary Health".
Meine ersten Gedanken, als ich von dieser Arbeit erfuhr: Zum Glück bin ich nicht mehr auf Twitter aktiv, ich hätte mich dort nicht lesen mögen in diesem Sommer. Und zum Glück ist Trump nicht mehr bei Twitter - obwohl, der hat ja leider andere Kanäle für sich entdeckt. Und kann es sein, dass es in Russland viel zu heiß war in letzter Zeit? Naja, die Forschenden haben herausgefunden, dass auch extreme Kälte aggressiv macht. Und, ehrlich, ich dachte auch: Muss man alles erforschen? Sollte man darüber nicht mal eine Glosse schreiben?
Klimaanlagen bremsen nicht den Hass
Nein, sollte man nicht, denn auch das hebt das Team vom PIK hervor: Es gibt Menschen, die leiden mehr unter Hass als andere. Minderheiten zum Beispiel. Weniger Privilegierte. Vermeintliche Sündenböcke. Hass ist nicht witzig, niemals, und ein Klima, das mehr Hass-Tage hervorbringt, ist einfach Mist.
Ach, übrigens, Privilege: Die Studie ergab auch, dass Klimaanlagen nichts bringen. Wenn es draußen zu heiß ist, schleudern überdurchschnittlich viele Menschen ihren Hass in die Welt, auch wenn sie in wohltemperierten Zimmern hocken.
Heute ist es endlich kühler in Hessen, es soll sogar regnen. Ich hoffe auf eine neue Chance im Garten, nächstes Jahr. Hallo, Herbst! Und: Hello Darkness, my old Friend, I've come to talk with you again.
Ja, wir sollten echt mal reden, ganz vernünftig und miteinander, weil dieser Sommer doch bitte endgültig gezeigt hat: Wir können so nicht weitermachen. Das "Wohlfühlfenster", heißt es am PIK, steht offen von 12 °C bis 21 °C. Das sollten wir nutzen für klare Gedanken.