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Manchmal haben wir es wirklich nicht leicht mit unseren Ärzt*innen. Da gibt es Mediziner, die halten einen Vortrag für ein Gespräch. Andere tauchen nur mit wehendem Kittel auf und machen damit deutlich, wie kostbar sie und ihre Zeit sind. Und es gibt in der Medizin unangemessene wirtschaftliche Interessen und ärztliche Selbstüberschätzung, die Patienten schadet.
Ich bin keine unkritische Ärzteversteherin, wie mir eine Freundin schon scherzhaft bescheinigte. Aber ich verteidige Medizin und Ärzteschaft unermüdlich gegen oft wiederholte pauschale Vorwürfe, die mich ärgern und die gerade in der Pandemie fröhliche Urstände feiern. Einer dieser beliebten Vorwürfe lautet: Die moderne Medizin sei eine unmenschliche Apparatemedizin.
Mag sein, dass es viel persönlicher ist, wenn ein Arzt oder eine Ärztin den Bauch abtastet. Aber auf der Suche nach kleinen Metastasen sind selbst fachkundige Hände ziemlich hilflos.
Manches können Apparate einfach besser
Ein riesiger Magnetresonanztomograf ist fraglos unheimlich und ich bin an fast jedem Ort lieber als da drin, aber er kann in dieser Hinsicht einfach mehr. Und auch deshalb leben Menschen mit meiner Erkrankung durchschnittlich länger als früher. Es ist nicht Technikverliebtheit von Ärzten oder reines Gewinnstreben, was mich das MRT ertragen lässt, sondern meine Hoffnung auf Leben. Und wie menschlich die moderne Medizin letztlich ist, entscheidet sich woanders. Den entscheidenden Unterschied machen die Menschen, die mit der Technik arbeiten, nicht die Apparate.
Noch unangemessener finde ich pauschale Vorwürfe gegen die sog „Schulmedizin“. Ursprünglich wurde dieser Begriff im 19. Jahrhundert von Vertretern der Homöopathie geprägt, um sich gegen die universitäre Medizin abzugrenzen. Die Nationalsozialisten mit ihrer bekannten Nähe zu volkstümelnder Esoterik griffen die Terminologie auf und verwendeten das Wort „Schulmedizin“ als Kampfbegriff gegen wissenschaftliche Medizin, meist zusätzlich als „verjudete“ oder „marxistische“ „Schulmedizin“ verunglimpft.
Schulmedizin“ als nationalsozialistischer Kampfbegriff
Trotz dieser geschichtlichen Belastung ist der Begriff „Schulmedizin“ ziemlich unbeschadet durch die Zeit gekommen und steht bis heute viel zu oft für eine angeblich kalte und unmenschliche Medizin, die nur die Krankheit und nicht den Menschen sieht. Ich frage mich, was das Wort „Schulmedizin“ überhaupt soll. Wie soll denn ärztliches Wissen anders weitergetragen werden als über Schule und Universitäten? Ich gewinne doch medizinisches Wissen nicht damit, dass ich mich auf einen Berg setze und nachdenke. Für eine Verlässlichkeit der Medizin braucht es doch eine geordnete Weitergabe von Erfahrungen und Wissen und das geschieht nun mal an Schulen und Universitäten. Wenn ich andere Ansätze der Heilkunst möchte, muss ich mir anderes suchen, andere Schulen, andere Lehrtraditionen, aber das „Schulische“ selbst ist doch nicht das Problem.
Ich würde den Begriff „Schulmedizin“ daher gerne auf dem Müllhaufen der Geschichte sehen. Er ist geschichtlich durch den Nationalsozialismus belastet und macht inhaltlich einfach keinen Sinn. Und man kann der Ärzteschaft ja viel vorwerfen, aber doch nicht, dass sie im Studium etwas lernen und sich auch sonst hoffentlich lebenslang fortbilden.