Vergangene Woche roch es durch die geöffneten Fenster nach verbranntem Holz. Seltsam, dachte ich, wieso verfeuert jemand in der Altstadt von Jerusalem Holz? Der Nachrichtenticker gab kurz darauf die Erklärung: Auf dem Tempelberg, dem Haram asch-Scharif, war bei einer der fast täglichen Auseinandersetzungen zwischen palästinensischen Muslimen und israelischer Polizei ein Baum in Brand geraten. Beide Seiten geben sich gegenseitig die Schuld am Feuer.
Joachim Lenz
Die Propstei liegt am Schnittpunkt von christlichem, jüdischem und muslimischen Viertel, der Tempelberg ist keine 400 Meter entfernt. Ich kann den Nahostkonflikt in meiner Wohnung riechen und hören. Feuerwerk, Schüsse oder Schockgranaten meine ich inzwischen am Klang unterscheiden zu können – eine Fertigkeit, die ich nie haben wollte. An Karfreitag und am Ostermorgen hat mich jeweils eine Mischung der verschiedenen Knallsorten geweckt. Trotzdem war die gemeinsame Karfreitagsprozession von Evangelischen und Anglikanern um 6 Uhr morgens ganz friedlich. Aufregung und Randale waren 100 Meter entfernt. Verschiedene Welten liegen hier ganz nah beieinander.
Am 29. April, dem letzten Freitag im Ramadan, der vom Iran als israelfeindlicher Al-Quds-Tag ausgerufen wurde, ist es weitgehend friedlich geblieben. Gott sei Dank! "Nur" der übliche Krach der Ausschreitungen, "nur" etwas mehr als drei Dutzend Verletzte, viele Tausend friedliche Beterinnen und Beter an der Al-Aqsa-Moschee. Ich bin erleichtert, obwohl sich vieles in mir sperrt, die dauernde Anspannung und latente Gewalt im Heiligen Land als normal anzuerkennen. Es geht ja schon seit Jahren so. Wie und wann soll es denn besser werden?
Die Bahn half bei der Ermordung der Juden
Szenenwechsel: Gestern war ich in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem beim Staatsakt zum Yom Hashoa, dem nationalen Holocaust-Gedenktag. Wir legten dort im Namen der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde einen Kranz nieder. Vorn lädt ein großformatiges Plakat in die aktuelle Ausstellung der Gedenkstätte ein. Es zeigt ein altes Foto von Menschen neben einem Eisenbahnwaggon – für mich sofort als Holocaust-Dokument erkennbar. Die Reichsbahn hatte während des Nationalsozialismus nach Kräften beim Massenmord an jüdischen Menschen geholfen. Und jetzt? Bei der Gedenkfeier legt nach der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas auch Bahnchef Richard Lutz einen Kranz nieder. Mir fällt ein, dass die Deutsche Bahn in den vergangenen Wochen Hilfsgüter in die Ukraine geliefert und Flüchtlinge mit Sonderzügen nach Berlin in Sicherheit gebracht hat. Kostenlos und schnell. Krasses Gegenprogramm, denke ich und atme durch: Doch, manches wird auch besser.