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Es ist schon erstaunlich, wo ich überall auf das Problem „zu wenig bezahlbarer Wohnraum“ stoße. Zum Beispiel in Tirol, konkret im Dorf Alpbach, auch bekannt wegen des alljährlich dort stattfindenden Europäischen Forums.
Wir kommen im Sommer zum Wandern, im Winter zum Skifahren. Immer häufiger auch zum Arbeiten aus dem Home-Office. Die Natur, die Berge, die Ruhe. Fantastisch. Wir kennen unsere Nachbarn, haben Freundschaften geschlossen und fühlen uns schon fast ein bisschen heimisch im Tal
Neubauten soll es nicht mehr so viele geben
Lange Zeit bemerkten wir bei der Anreise: Ob am Rand des Dorfes oder mittendrin, überall entstanden neue Häuser, alle im typischen Alpbacher Baustil mit wunderschön geschnitzten Balkonen und Dachgiebeln.
Dann hörte das auf. Kaum noch Kräne mehr an den Hängen. Wir fragten nach. Neubauten, auch Umwidmungen oder Erweiterungen, würden kaum noch bewilligt. Die Natur im schönen Tal solle stärker geschützt werden.
Gut für uns als Touristen; schlecht für die Einheimischen hören wir. Wo sollen die erwachsenen Kinder wohnen, wenn kaum noch gebaut werden darf? In den oft uralten Höfen (die häufig noch mit Kühen und Almen bewirtschaftet werden) wohnen Onkel und Tanten, Groß- oder gar Urgroßeltern. Ohne Neu- oder Anbauten gibt es keinen Platz für junge Familien.
Immerhin wurde vor zwei Jahren ein Neubau mit 15 geförderten Wohnungen eingeweiht. Im traditionell geprägten Bergdorf eine kleine Revolution.
Doch wenn ich so herumfrage, höre ich immer wieder: Viel zu wenig. Die Gästewohnungen im Tal sind nur für Touristen bezahlbar. Und wenn mal eine freie Eigentumswohnung zum Verkauf steht, dann sind die Preise exorbitant hoch: "Das können sich nur die Ausländer leisten", schimpft einer unserer Freunde.
Überhaupt, "die Ausländer". Klar, sie bringen viel Geld ins Tal. Der Tourismus ist in Alpbach, wie überall in Tirol, eine der wichtigsten Geldquellen. Kitzbühel und das Zillertal liegen um die Ecke, die Region ist schwer beliebt.
Ein sogenanntes "Tiroler Raumordnungsgesetz" soll den Ausverkauf an Fremde verhindern. Dazu gehört auch die neu eingeführte „Freizweitwohnsitzabgabe“. Wer in den eigenen vier Wänden nur urlaubt, soll zumindest mehr zahlen. In der Theorie liest sich das gut, praktisch gibt es Probleme. Im Dorf ärgert man sich über Menschen, die, auch wenn sie nur zum Urlaub kommen, hier ihren ersten Wohnsitz angeben und damit die neue Steuer umgehen. Kontrollen sind schwierig bis unmöglich. Viele Häuser, erzählt man mir, stünden fast das ganze Jahr leer, kostbarer Wohnraum, der kaum genutzt werde.
Gästewohnungen statt Dorfladen
Vor wenigen Jahren gab es im Dorf noch eine Post, einen Elektrohändler, einen Spar - und Gemischtwarenladen. Heute finden sich dort Ferienwohnungen und ein weiterer Ski- und Elektroradverleih. Die Bäckerei steht seit Jahren leer, der Spar ist unten an den Dorfeingang gezogen. Das kleine Hallenbad, in dem die Schulkinder jahrzehntelang schwimmen lernten, wurde abgerissen. Dafür haben neue Hotels schicke Wellnessanlagen; eines sogar ein Schwimmbad im offenen Obergeschoss. Wer unten vorbei geht, hört oben die Kinder plantschen und toben.
Ich kann verstehen, dass viele Einheimische sauer sind. "Für die Touristen verhindert man nix und für die jungen Leute tut man nix", ärgert sich einer unserer Freunde.
Und dann gibt es da noch den Kirchfriedhof.
Schon seit Jahren wundere ich mich, wie hier, auf der begrenzten Fläche anscheinend alle, die wollen, ihre Todesruhe finden. Wieder frage ich rum und höre: Niemand liege hier für immer. Maximal 20 Jahre herrscht Totenruhe, dann wird das Grab ausgehoben und so Platz geschaffen. Ein rollierendes System, dass, so versichern es mir einige, seit Ewigkeiten funktioniere, oder wie man hier sagt: "Es hat sich noch immer gut ausgegangen."
Doch was, wenn z.B. der Ehemann neben seiner Frau beerdigt werden möchte? Darauf gibt es keine Garantie. Und natürlich ändern sich auch hier Sitten und Gebräuche. Immer häufiger wollen die Menschen in Urnen oder sogar anonym beerdigt werden.
Ich finde den Ansatz trotzdem großartig. Flexibilität und befristete Überlassung statt Dauerbesitz. Von der Idee her übertragbar auf die Wohnsituation?
Wie wäre es zum Beispiel mit einer dörflichen Tauschbörse? Haus gegen kleinere Wohnung? Vielleicht sogar verbunden mit einem Bonus-System, wie es eine große kommunale Baugenossenschaft in Potsdam praktiziert?
Es ist schon lange her, dass Alpbach zum schönsten Dorf Österreichs gekürt wurde. Der immer noch einheitlich eingeforderte Baustil ist fantastisch. Doch wie sagte es einer meiner Gesprächspartner: "Ein Dorf lebt ja nicht vom Baustil allein."