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Mein Neffe Valentin hat ein Testzentrum aufgemacht. Ich wollte sehen, wie es ihm dabei geht und was er erlebt. Außerdem musste ich mich wieder einmal testen lassen. Also bin ich mit Bahn und Bus zur Ruhlebener Straße 7a gefahren, in den Spandauer Kiez. Eine wohlhabende Gegend ist dies nicht, von Berliner Hipness keine Spur. Dafür viele Menschen aus vielen Ländern, besonders aus Südosteuropa. Auch zwei Flüchtlingsheime gibt es in der Nachbarschaft.
Valentin hat Erfahrung mit der Testarbeit aus Berlin-Mitte mitgebracht. Da kamen Menschen, die sich für 69 Euro einen PCR-Test leisteten, weil sie am Wochenende nach Mallorca fliegen wollten. Die fehlen hier. Stattdessen kommen Menschen aus der Nachbarschaft, weil der Bürgerstest umsonst ist. Anfangs bekamen sie auch eine Maske geschenkt. Einige wirken sehr einsam auf Valentin, wie die alte Dame, für die der Test der einzige Außenkontakt des Tages zu sein scheint. Überhaupt erlebt er viel Einsamkeit, verbunden mit Unsicherheit: Wenn ich in Quarantäne muss, wer besorgt mir dann etwas zu essen? Einsamkeit ist auch ein Grund dafür, dass viele nicht wissen, was zu tun ist. Ihre Verständnislosigkeit ist nicht nur sprachlich bedingt. Sie haben niemanden, mit dem sie über all diese Regeln sprechen können. Viele scheinen schon lange keinen „Brennpunkt“ mehr gesehen zu haben. Sie sind nicht unintelligent. Aber die politischen Debatten rund um Corona sind viel zu kompliziert geworden, die Hygieneverwaltung mit ihrem typisch deutschen Detailperfektionismus ist viel zu akademisch für sie. Die Wirklichkeit hier heißt „Einsamkeit, Armut und Unverständnis“ und wird von Politik und Medien nicht angemessen in den Blick genommen.
Auch die allgemeine Obsession um die „Querdenker“ wirkt auf mich zunehmend befremdlich, je länger ich meinem Neffen zuhöre. Aggressiv ist hier niemand. Manche erzählen beim Reinkommen, dass sie geimpft sind, und freuen sich, wenn dies anerkannt wird. Andere brummen: „Der Merkel-Saft kommt nicht in mich rein.“ Das war es aber auch schon. Sie alle kommen ja, um sich testen zu lassen. Also nehmen sie Verantwortung wahr für sich und ihre Mitmenschen. Es sind gute Nachbarn. Deshalb sind sie hier willkommen, werden freundlich begrüßt und professionell behandelt. Eigentlich bräuchte es eine Tee-Ecke, wo jemand länger mit ihnen sprechen würde, eine Sozialarbeiterin oder ein Gesundheitsberater. Aber sie sollen ja gleich wieder weiter.
Beim Fußball sagt man: „Die Wahrheit ist auf dem Platz.“ Das kann man für die Pandemie so umformulieren: „Die Wirklichkeit ist im Testzentrum.“ Ich empfehle deshalb weniger Medienkonsum und stattdessen den Besuch eines Testzentrums – am besten desjenigen, das mein Neffe Valentin mit großem Einsatz und Einfühlungsvermögen betreibt.
P.S.: Was die Zauberkunst gegen Aberglauben (und Verschwörungstheorien) vermag und mit der Theologie verbindet – darüber spreche ich mit dem Hamburger Zauberliteratur-Sammler Peter Rawert in meinem Podcast.