"Es ist nichts", sagte János mit Nachdruck und sah beim Autofahren stur geradeaus. Und wenn doch was ist? "Es ist ganz bestimmt nichts, glaub mir!"
"Der macht euch das auf, fünf Minuten, und der Fall ist erledigt"
Wir waren beim Hausarzt gewesen, weil eine centgroße Stelle auf seinem Kopf seit Wochen wehtat und beim Kämmen immer wieder gereizt wurde. Sie war leicht gerötet, aber sonst sah sie ganz harmlos aus. Etwas Gewebswasser hatte sich unter der Haut gesammelt. Eine entzündete Haarwurzel, glaubten wir und auch der befreundete Mediziner. Also hatte er uns zum Chirurgen um die Ecke geschickt, "der macht euch das auf, fünf Minuten, und der Fall ist erledigt".
Der Kollege sah das anders. "Das müssen wir einschicken", sagte er knapp, nachdem sein Skalpell mit hörbarem "Ratsch" ein kreisrundes Stück Haut von der Schädeldecke gelöst hatte. Dann nähte er die Wunde. Zwischen den Handgriffen musterte er meinen Mann unverhohlen: "Na ja, sonst sehen Sie ja ganz gesund aus." Als ich schüchtern fragte, ob wir jetzt Angst haben müssten, erwiderte er, während er das Laborgefäß mit der Gewebsprobe in einen Umschlag eintütete: "Angst brauchen Sie erst zu haben, wenn Sie das Ergebnis kennen."
"Angst brauchen Sie erst zu haben, wenn Sie das Ergebnis kennen."
Na wunderbar. Eine Woche Panik, dachte ich, der Hypochonder in der Familie. Mehrfach schon war ich selbst überzeugt gewesen, todkrank zu sein, hatte mich wochenlang in eine immer größere Angst hineingesteigert, wider besseres Wissen unfähig, irgendwelche Symptome zu ignorieren. Bis zum erlösenden Arztbesuch, bei dem mir versichert wurde, alles sei völlig harmlos und ich gesund. "Es ist nichts", sagte János zum dritten Mal und wechselte das Thema.
Zehn Tage später war klar, dass die Stelle an seinem Kopf Krebs war. Ein Karzinom der drüsenbildenden Zellen und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einmal der Ursprungstumor, sondern bereits eine Metastase, eine Tochtergeschwulst. Wie konnte das sein? Außer den Schmerzen am Kopf hatte János keinerlei Beschwerden. Aber eine Computertomografie des Körpers bestätigte den Verdacht: Mitten in der Lunge wuchs ein Tumor, nicht groß, doch er hatte bereits auf die umliegenden Lymphknoten übergegriffen.
"Sonst hätte er ja auch nicht am Kopf auffallen können", konstatierte der Professor am Münchner Universitätsklinikum Großhadern sachlich. "Vielleicht haben wir ihn dadurch frühzeitig entdeckt." Aber er fügte auch hinzu: "Die Krankheit ist leider nicht heilbar." Und während er rasch Zettel ausfüllte und Anweisungen für seine Assistenzärzte aufschrieb, erzählte er von sanfteren Chemotherapien, die während der Behandlung "eine gute Lebensqualität" ermöglichten. Man könne Zeit gewinnen, Monate, vielleicht Jahre. "Das", sagte er zum Schluss und sah mich und meinen Mann an, "ist allerdings sehr selten..."
Es blieben hundert Tage bis zu seinem Tod.
Wir schwiegen, als wir das Arztzimmer verließen und durch die endlosen Gänge des Klinikums zum Ausgang gingen. Die Diagnose ließ eigentlich an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Und trotzdem konnten wir uns einfach nicht vorstellen, dass sein Leben, dass unser gemeinsames, glückliches Leben plötzlich zu Ende sein sollte. "Ich will nicht sterben", hatte János zu dem Onkologen gesagt, klar und sachlich. "Ich versuche es mit der Chemotherapie und werde kämpfen." Monate. Vielleicht Jahre. Unsere Schritte hallten auf den Fluren, die ich noch so oft entlanglaufen sollte und er immer seltener. Es blieben hundert Tage bis zu seinem Tod.
Es ist schwer, sich auf das Sterben vorzubereiten, wenn man mit dem Überleben beschäftigt ist.
Es ist schwer, sich auf das Sterben vorzubereiten, wenn man mit dem Überleben beschäftigt ist. Die Routine der Uniklinik stülpte sich erbarmungslos über uns und ließ uns kaum Zeit für Sinnfragen. Jeden Tag um sieben wurde in der Tagesklinik bereits Blut abgenommen. Kurz darauf waren wir schon mit einem Laufzettel in der Hand unterwegs zu Röntgenaufnahmen, Knochenszintigramm, Ultraschall des Herzens, Lungenkapazitätsprüfung, Blasenspiegelung, Endoskopie des Magens.
Da mein ungarischer Mann trotz 15 Jahren Ehe nie wirklich Deutsch gelernt hatte, stand ich bei den meisten Untersuchungen daneben, wurde zum Dolmetschen gebraucht. Es fiel mir schwer, die leidenschaftslose Mediziner-Terminologie neutral zu übersetzen, während die Ärzte nach weiteren Krebsgeschwüren suchten. "Raumförderndes Geschehen" mit solch abstrakten Begriffen für das unkontrollierte Wachsen eines Tumors halten sich die Ärzte den Tod vom Leib. Doch die verdächtige Verdickung der Halslymphe war, stellte sich nach zehn Minuten quälendem Disput zwischen zwei Medizinern heraus, harmlos und keine weitere Metastase. Diesmal waren wir noch davongekommen.
"Ja dann, alles Gute. Vielleicht sehen wir uns beim nächsten Mal wieder!"
Angst lähmt, also verdrängten wir den drohenden Tod und klammerten uns an die Normalität. In den Behandlungszimmern der Tagesklinik strickten die Frauen Schals oder lösten Kreuzworträtsel, während ihre Männer sich über die jüngsten Nebenwirkungen ihrer Chemotherapie unterhielten. Aus den Infusomatoren neben ihren Stühlen tröpfelte das Gift in ihre Venen. Manche der Patienten kamen schon seit Jahren her, andere sahen aus, als wäre dies das letzte Mal. Doch nach fünf, sechs Stunden verabschiedeten sie sich alle wieder nach draußen, in ein vielleicht noch so kurzes Leben außerhalb der Klinik: "Ja dann, alles Gute. Vielleicht sehen wir uns beim nächsten Mal wieder!" Wer weiß.
Wenn die alle so locker mit ihrem Krebs umgehen, dann schaffen wir das auch, dachte ich während der ersten Wochen. Doch dann überholte das Tempo, mit dem der Krebs sich entwickelte, unser Vorstellungs- und Reaktionsvermögen. Eben hatte uns der Chef-Onkologe noch gratuliert, weil die dreidimensionalen Röntgenbilder des Computertomografen keine weiteren Metastasen erbrachten: "Na, vielleicht haben Sie ja doch noch Glück gehabt." Doch schon wenige Tage später zeigte ein Szintigramm des Skeletts "Spots": Tumorzellen in Wirbel- und Beckenknochen. "Nein, wirklich günstig ist das nicht", sagte der junge Assistenzarzt der Tagesklinik verlegen, den ich hartnäckig noch kurz vor Dienstschluss nach den Ergebnissen gefragt hatte. Ich wusste, dass dieser Befund entscheidend für die Lebenserwartung war. Aber zur sichtbaren Erleichterung des Arztes fragte ich nicht nach den Konsequenzen. Ich wollte die Antworten weder hören noch für János übersetzen.
Jetzt, wo die Krankheit sichtbar wurde, schien sie schneller voranzuschreiten. Quälende Knochenschmerzen trieben János bald Tränen in die Augen und ließen ihn Tag und Nacht in keiner Haltung mehr Ruhe finden. Das Morphium schien wirkungslos. Der Professor wich mir im Laufschritt aus, als ich neben ihm herlief, um ihn anzuflehen, meinem Mann zu helfen, der sich nebenan in der Tagesklinik auf einem Bett krümmte. "Um die Knochenschmerzen zu lindern, müssten wir ihn bestrahlen aber wollen Sie, dass wir dazu die Chemotherapie unterbrechen? Da verlieren wir wertvolle Zeit", rief er über die Schulter, bevor er sich in sein Zimmer rettete. "Wenn die Chemo endlich greift, dann nehmen auch die Schmerzen ab", beschied uns der Stationsarzt, auch er immer in Eile.
Wie schlecht es um János wirklich stand, das wollten sie uns nicht sagen.
Erst später lernte ich, dass das nur eine Ausrede war. Die giftigen Infusionen wirken nur schwach auf Tumorzellen in den Knochen. Eine Bestrahlung hätte die Schmerzen vielleicht besser bekämpft. Die Ärzte aber sahen am Blutbild, wie rasch sich der Krebs im Körper ausbreitete, und entschieden sich dafür, die Chemotherapie fortzusetzen. Sie glaubten, sein Leben eher auf diese Weise verlängern zu können. Wie schlecht es um János wirklich stand, das wollten sie uns nicht sagen.
Der Tod ist für die Ärzte ein Feind. Sie sprechen ungern über ihn, als würden sie ihn dadurch hervorlocken. Warum aber habe ich nicht genauer nachgefragt? Wieso hat János mich nicht darum gebeten? Unsere Freunde schwiegen längst betreten, wenn wir kämpferisch über weitere Chemotherapien sprachen. Die Ärzte blickten mitleidig-nervös, als wir fragten, ob Vitamininfusionen sich mit den Medikamenten vertrügen. Und die Nachbarn sagten so Sätze wie "Die Hoffnung stirbt zuletzt". Sie haben sich alle schon damit abgefunden, dachte ich und fühlte mich einsam und verraten. "Akzeptier doch, dass er sterben wird", sagte selbst eine enge Freundin, "quäl ihn nicht mit irgendwelchen Therapien, sondern macht euch noch eine schöne Zeit."
Den Tod akzeptieren. Wie kann man das, wenn man liebt? "Wenn wir jetzt beide sterben müssten", hatte János früher einmal zu mir gesagt, "dann würden wir uns halten, und es wäre gar nicht schlimm." Aber allein zurückzubleiben, das konnte ich mir nicht vorstellen. Nie im Leben. War eine Liebe nicht etwas Außergewöhnliches, Einzigartiges? Wie sollte man sie dann den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit unterordnen, der kühlen Logik der Fünf-Jahres-Überlebensraten? "Hör nicht auf die anderen, sie verstehen uns nicht", sagte mein Mann müde am Telefon, als ich ihn noch mitten in der Nacht im Krankenhaus anrief, weil ich plötzlich solche Angst bekam. Gegen alle Wahrscheinlichkeit wollte er einfach leben, für mich und alle anderen Menschen, die er liebte.
Und dann dachte ich nur noch, hoffentlich kann er ohne Angst ... sterben.
Wir weigerten uns also, ein Ende zu akzeptieren. Starrten - trotz Übelkeit und Schmerzen, trotz deprimierender Blutwerte und steigendem Fieber - geradeaus auf den Lichtpunkt am Horizont, der immer kleiner wurde. Hofften unbeirrbar, auch wenn das mit Riesenkraft Ersehnte zu immer kleineren Bitten schrumpfte. Erst hoffte ich, János würde zu den wenigen Menschen gehören, die den Lungenkrebs überwinden oder zumindest noch Jahre damit leben können. Dann bat ich, den Ärzten möge es wenigstens gelingen, seine endlosen Schmerzen zu besiegen. Ich wünschte mir, er könnte sich noch einmal im Bett aufsetzen und Backhendl essen. Als er kurz vor seinem Tod schon in einer Schlafnarkose lag, hoffte ich, er würde meine Hand spüren, die seine hielt und vielleicht den sanften Druck erwidern. Und dann dachte ich nur noch, hoffentlich kann er ohne Angst ... sterben.
"Manchmal ist es besser aufzugeben", sagte der junge Assistenzarzt der Palliativmedizin, der Spezialstation für Schwerstkranke, wohin János schließlich verlegt wurde, um seine Schmerzen zu lindern. "Aber Hoffnung kann doch Berge versetzen und manchmal auch heilen", erwiderte ich trotzig. "Nur im Fernsehen", lächelte er müde. "Wir erleben hier viel öfter, wie sich Menschen quälen, weil sie nicht loslassen können."
"Wir versuchen, der Hoffnung neue Räume zu öffnen - für die Suche nach Ehrlichkeit, Aussöhnung, Sinn."
Von der Palliativmedizin hatte ich bis dahin nur eine vage Vorstellung. Dankbar akzeptierte ich die plötzliche Wärme und Zuwendung, die uns auf dieser Station entgegengebracht wurden. Erst später verstand ich, dass dies nur deshalb möglich war, weil man hier nicht mehr mit allen Mitteln gegen die Krankheit kämpfte. "Leben ist nicht alles", erklärte mir die junge Oberärztin Monate später. "Wir versuchen, der Hoffnung neue Räume zu öffnen - für die Suche nach Ehrlichkeit, Aussöhnung, Sinn."
Bei ihrer ersten Visite hatte sie János zum Weinen gebracht, weil sie statt Machbarkeit zu demonstrieren Mitgefühl zeigte: "Da müssen Sie jetzt aber mit sehr vielem gleichzeitig fertig werden..." "Die waren einfach zu nett", schluchzte er, als die Mediziner den Raum verlassen hatten und sich endlich die aufgestaute Spannung entlud. Und ich sah zum ersten Mal seine Angst.
Habe ich ihn damit allein gelassen? Die letzten zwei Wochen verbrachte ich Tag und Nacht an seinem Bett, aber ich wollte dennoch nicht glauben, was ich sah. "Lebermetastasen" stand mit schwungvoller Handschrift auf einem grünen Laufzettel, den wir zum Röntgen mitbekamen. Ich faltete ihn so, dass János die Bemerkung nicht lesen konnte.
Die Onkologen hatten uns nur erklärt, dass wegen eines leichten Fiebers die nächste Chemotherapie verschoben werden müsste. Der nette Palliativmediziner aber, der sich vorher immer besonders viel Zeit für ein Gespräch genommen hatte, war plötzlich noch grauer im Gesicht als sonst und verließ das Zimmer eilig, nachdem er die Schmerzmittel neu justiert hatte. Das nächste Mal kehrte er im Schutz seiner Kollegen wieder: "Ein Wirbelknochen ist zerfallen", sagte er. "Wir können ihn zwar zementieren, aber danach müssen wir die benachbarten Wirbel bestrahlen, um die Tumorzellen zu stoppen. Das heißt, wir müssen die Chemotherapie unterbrechen." Und dann, nach einer Pause: "Danach müssen wir sehen, ob das Immunsystem eine weitere Behandlung aushält."
János war vor Erschöpfung mitten in dem Gespräch eingeschlafen. Aber zuvor hatte er noch zu dem Arzt gesagt: "Ich will gesund werden, ich tue alles, was Sie sagen." Dann fielen ihm die Augen zu. Ich schämte mich in diesem Moment für seine Naivität oder war es meine eigene? "Er weiß eigentlich", stammelte ich, dann konnte ich vor Tränen kein Wort mehr sagen. Ich wusste eigentlich schon viel länger, als ich es mir eingestehen wollte. Viereinhalb Tage später starb János.
War es falsch, bis zum Schluss an das Leben zu glauben?
Ich sehe das Vertrauen in seinem Blick und seine Worte verfolgen mich. Habe ich ihn in falscher Hoffnung sterben lassen? War es falsch, bis zum Schluss an das Leben zu glauben?
Der Stationsarzt war so alt wie János' Sohn. Er hatte Tränen in den Augen, als mein Mann im Sterben lag. Dabei ist er Palliativmediziner geworden, weil er den Tod annehmen will. Doch als Onkologe steht er jeden Tag wieder neu vor der Frage, welche Hoffnung den Patienten leitet und welche ihn selbst. Soll er den Patienten zu einem harten und oft sinnlosen Kampf motivieren? Oder ihn auf ein hoffentlich sanftes Ende vorbereiten?
János hatte so große, unstillbare Schmerzen, dass ihm nicht nur die Mediziner, sondern auch viele unserer Freunde gewünscht haben, schnell zu sterben. Ich nicht. Ich habe wider jede Vernunft auf ein Wunder gehofft, und es ist passiert, wenn auch anders als gedacht. Er wachte eines Nachts aus der Schlafnarkose auf und schenkte mir einen zärtlichen Abschied, wie ich ihn nie beschreiben könnte. Es gibt Dinge, die sind einfach stärker als der Tod. \