Die Kirchen haben Ansprechstellen geschaffen, an die sich wenden kann, wer in der Kirche sexualisierte Gewalt erleben musste. Sie haben Beauftragte ernannt, Kommissionen eingesetzt, Studien veröffentlicht, Gutachten in Auftrag gegeben. Nachdem Betroffene jahrelang gefordert hatten, an den Aufarbeitungsprozessen beteiligt zu werden, haben die Kirchen, die evangelische wie die katholische, Betroffenenbeiräte einberufen.
Claudia Keller
Und doch verfestigt sich bei Menschen, die in diesen Gremien mitarbeiten, der Eindruck, dass die Kirchen sich davor drücken, die Täter zu nennen. Niemand will geradestehen, und vor allem: Die nehmen unsere Expertise nicht ernst und speisen uns mit warmen Worten ab. Henning Stein, Mitglied im Betroffenenbeirat der EKD, spricht von "Aufarbeitungssimulation". Da kann der EKD-Sprecher hundert Mal erklären, dass der Betroffenenbeirat "selbstverständlich an allen laufenden Entscheidungsprozessen beteiligt" ist und dass eben "unterschiedliche Auffassungen zum Tragen kommen" – die Wahrnehmungen gehen fundamental auseinander.
Mittlerweile ist viel darüber bekannt, welche Faktoren Gewalt in den Kirchen und ihre Vertuschung begünstigen. Aber womöglich fehlt vielen leitenden Geistlichen immer noch der Mut, sich von diesem Wissen im Innersten erschüttern zu lassen. Vielleicht fehlt auch der Mut, Kontrolle abzugeben und sich leiten zu lassen von Menschen, die zutiefst enttäuscht und verletzt wurden. Doch wer braucht eine mutlose Kirche?