"Die Geschichten in der Bibel sind doch fast alle erfunden! Das ist wissenschaftlich bewiesen! Und selbst jene, die einen realen Kern haben könnten, sind aufgebläht und verbogen!" Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr sind für Nachbar Helmut stets eine Herausforderung. "Dass es noch immer so viele Menschen gibt, die Religion für Wahrheit halten, ist einfach absurd", schimpft er. Als rational denkender Mensch erkennt er an, dass es Ereignisse gibt, "die wissenschaftlich noch nicht analysiert werden können. Aber sie in Legenden zu verpacken, führt zu nichts!"
Arnd Brummer
Ich habe es aufgegeben, mit Helmut zu streiten. Ich bete für ihn: "Lieber Gott, schenke diesem anständigen Kerl die Kraft des Glaubens. Und lass ihn verstehen, dass du kein Produkt rationaler Erkenntnis bist." Das Wort "Gott" beschreibt Ereignisse und Vorgänge, die außerhalb naturwissenschaftlicher Kompetenz und Deutung liegen. Das Gebet entspringt der Einsicht in die Begrenztheit menschlichen Tuns. Die Bitte um Gottes Hilfe in ausweglosen Situationen tröstet und hilft, Leid zu ertragen. Das "Gott sei Dank" für Geschenke wie Liebe und Freundschaft bezeichnet "wunder"-bares Glück und Freude darüber.
Religiöse Texte und Geschichten sind Schwestern der Poesie. Wie Oden und Gedichte machen sie möglich, was der Lyriker und Liedermacher André Heller so beschreibt: "Die wahren Abenteuer sind im Kopf, in deinem Kopf. Und sind sie nicht in deinem Kopf, dann suche sie." Problematisch wird es nur, wenn sogenannte Fromme meinen, die göttliche Wahrheit zu besitzen, und daraus ihre moralische Überlegenheit oder ihr Recht auf Macht und Gewalt begründen. Die Blutspur dieses Anspruchs zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte.
Die Geschichten der Bibel beschreiben Glaube nicht als Besitz
Die mythisch-symbolischen Geschichten der Bibel beschreiben fast durchgängig Glauben nicht als Besitz, sondern als Suche nach Wahrheit, nach Gott. Die Menschen als Suchende – das müsste Helmut doch überzeugen, dachte ich. Als ich ihm meine Gedanken mitteilte, antwortete er: "So, wie du das darstellst, klingt das okay. Aber wenn diese uralten Texte in den Kirchen vorgelesen werden, klingen sie nicht nach gestern, sondern nach vorgestern!"
Ich fragte ihn, wann er denn das letzte Mal einen Gottesdienst besucht habe. Das sei schon eine Weile her, erklärte er. "Wann genau, weiß ich nicht mehr." Wann er zum letzten Mal im Kino war, wollte ich wissen. Helmut runzelte die Stirn: "Was hat denn das miteinander zu tun?" Ziemlich viel. Da wie dort kommen die Geschichten beim Publikum an, wenn sie in Sprache und Bildern vermittelt werden, die man mit seinem Alltag verbinden kann.
Und dann gab ich ihm den Tipp, mal einen Gottesdienst im Nachbarort zu besuchen. Dort erzählt die Pastorin Bibeltexte so, dass die Zuhörenden richtig Freude daran haben. Neulich sprach sie über Paulus: "Als der Paule nach Offenbach kam und den Jungs und Mädels die Story von Jesus erzählte." Anschließend lädt sie zu einer Gesprächsrunde ein. Helmut starrte eine Weile auf die Wand. Und dann murmelte er: "Interessant – werde ich mal hingehen."
Wahrheit oder Unwahrheit
"Religiöse Texte und Geschichten sind Schwestern der Poesie."
Aber die Texte der Bibel sind Philosophie für eine wirklich-wahrhaftige Realität in Vernunft von zweifelsfrei-eindeutiger Wertigkeiten.
Es ist immer wieder erschütternd, wie systemrationale Religion der Unwahrheit mit gleichermaßen Konfusion dienlich ist.
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Eine Bitte an Herrn Helmut
Sehr geehrter Herr Brunner,
könnten Sie an Ihren Nachbarn Helmut eine Bitte von mir weiterleiten? Laut Ihrer Bekundung ist Ihr Nachbar, obwohl Atheist, dennoch ein anständiger Kerl, für den sich sogar zu beten lohnt. Sie haben es zwar nach Selbstauskunft aufgegeben, mit Helmut zu streiten. Klar, mit Atheisten zu streiten ist ziemlich sinnlos, die glauben ja nicht einmal an Gott. Aber eine Einladung zum Gottesdienst haben Sie ihm doch überbracht. Die war offenbar erfolgreich wegen Ihres gelungenen Schachzugs, auf die freudestiftende Pastorin zu verweisen, die doch glatt Paule statt Paulus sagt.
Wenn Helmut im Nachbarort dann dem modernen Gottesdienst beigewohnt hat, wird er vielleicht von seiner rationalistischen Verblendung geheilt sein. Also, lieber Herr Helmut, berichten Sie uns doch bitte davon, wie gelungen ein zeitgemäßer Gottesdienst verläuft. Sie wissen schon, nicht so verstaubt wie vor drei bis viertausend Jahren, sondern ganz locker, jugendsprachlich auf der Höhe.
Max Zirom
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