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Gerade telefonierte ich mit einer 68-jährigen Frau, es war für einen Artikel über pflegende Angehörige. Sie hat mich sehr angerührt. Ihr Mann bekam 2009 die Diagnose Alzheimer. Er war Maschinenkonstrukteur, Ende 50. Zwei Jahre arbeitete er noch weiter, dann ging es nicht mehr. Sie blieb noch bis zur Rente in ihrem Job als Hauswirtschafterin.
Jetzt sind die beiden zuhause, sie legt ihm die Kleider raus, erinnert ihn ans Waschen, legt ihm das Essen auf den Teller. Fremde Hilfe lehnt er ab. Ihre einzige Unterstützung: eine gute Freundin, die stundenweise vorbei kommt, sich mit ihm unterhält – und mit ihr. „Wir drei können so schön zusammen schweigen“, sagt die Frau. Und erzählt, dass sie abends oft auf dem Balkon sitzen, sie wohnen direkt am Waldrand, und warten, ob sich "ihr" Fuchs wieder blicken lässt.
Corona-Rücksicht ist vorbei
Ja, es sei manchmal schwierig. Ja, so hätten sie sich das Alter nicht vorgestellt. Aber so ist es nun eben. Blöd nur, dass viele so wenig wüssten über die Krankheit. Im Supermarkt könne es den Leuten oft nicht schnell genug gehen, da würde ihr Mann manchmal geschubst oder ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen. Am Anfang der Corona-Krise sei es anders gewesen, sagt sie. Da seien alle rücksichtsvoller gewesen. Aber jetzt sei es wieder so wie vorher. Leider.
Überhaupt Corona: Ihr Mann schimpfe zwar etwas, aber er zieht einen Mundschutz an, wenn sie rausgehen. Sie bedauert vor allem, dass sie jetzt nicht mehr wegfahren könnten. Drei, vier Tage in eine andere Stadt, oder eine Busreise, das hätten sie immer gerne gemacht. "Das geht bald wieder", sage ich. Sie zögert: "Ich fürchte, dann kann er nicht mehr." Es falle ihm immer schwerer, Eindrücke zu verarbeiten. Er brauche dann lange, sich von diesen zu erholen.
"Das Tolle: Er läuft nicht weg"
Ob sie ihn mal alleine lassen könne, frage ich. Stundenweise ja – wenn sie denn auf einen Zettel schreibt, wo sie ist. Sonst vergisst er es womöglich und alarmiert alle Freunde auf der Suche nach ihr. "Aber das Tolle ist: Er läuft nicht weg.“
Als ich diesen Satz höre, muss ich schlucken. Er sagt soviel aus. Über ihre Beziehung – wie sie war und wie sie jetzt ist. Über seine Situation. Und ihren Willen, das Leben weiter schön zu finden. Unglaublich, wie ihr das gelingt: „Wir haben zusammen noch nie so viel gelacht wie in den letzten Jahren.“