Falscher Vorwurf
Hans-Jürgen Abromeit mahnt an, Palästina nicht aus dem Blick zu verlieren. Prompt gilt der Bischof als Antisemit
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
15.08.2019

Hans-Jürgen Abromeit, Bischof in der Nordkirche, hielt Anfang August einen klugen Vortrag zu "Zwei Völker – ein Land": Was kann die Bibel zum Frieden zwischen Israelis und Palästinensern beitragen? Unter anderem sagte er: "Aus dem Schuldbewusstsein der Deutschen folgt eine Überidentifikation mit dem Staat Israel." Daraus folge eine Benachteiligung der Palästinenser und eine Zurücksetzung ihrer berechtigten Sicherheitsinteressen. Dem kann man kaum widersprechen.

Die evangelikale Nachrichtenagentur "Idea" berichtete und titelte mit "Überidentifikation". "Bild" zitierte "Idea" und spitzte zur "Anti-Israel-Rede" zu. Die "Jüdische Allgemeine" berichtete, als stehe Abromeit bereits unter Antisemitismusverdacht - offenbar ohne die Rede im Original gelesen zu haben. Auch die Orthodoxe Rabbinerkonferenz war empört.

Naziparolen, Schmierereien, Drohmails, Friedhofsschändungen, tätliche Attacken, so sieht Antisemitismus in Deutschland aus. In seiner Statistik über Hasskriminalität vermeldet das Bundesinnenministerium seit 2001 jährlich die Zahl der zumeist rechtsextremen antisemitischen Fälle. Sie summieren sich auf durchschnittlich vier pro Tag. Für die etwa 100.000 jüdischen Gemeindemitglieder in Deutschland – seit 2006 nimmt ihre Zahl stetig ab – eine reale Bedrohung.

Abromeit hat aber nie Israels Existenzrecht relativiert. Und zum kompletten Bild gehört auch, wie es auf ganz normale Palästinenser wirkt, wenn schon Ausgewogenheit als antisemitisch gilt. Nein, Abromeit ist kein Antisemit. Er will nur fair sein.

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Sicher machen die Aussagen den Bischof nicht zu einem Antisemit. Allein - es stellt sich trotzdem die Frage, ob seine Einschätzung Israel werde zu Lasten der Palästinenser von Deutschland ungerechtfertigt hofiert, zutrifft. Meiner Meinung nach ist das nicht der Fall. Vielmehr hält sich deutsche Prominenz selten mit Israelkritik oder "Israelkritik" zurück und gerade auch Kirchenleute spielen dabei nicht immer eine rühmliche Rolle. Günther Grass, Norbert Blüm, Rupert Neudeck sind nur einige prominente Namen die sich öffentlich stark pro palästinensisch geäußert haben und dabei die israelische Seite nicht nur kritisiert sondern z. T. sogar delegitimiert haben. Auch auf der Ebene weniger prominenter Gemeindetheologen ist mir das schon begegnet. Dabei frage ich mich immer, was all diese Leute zu so einer Einschätzung qualifiziert (außer vielleicht Neudeck, der zumindest Praktiker war). Der Nahe Osten von dem Israel nur ein kleiner Teil ist, ist politisch ein hochkomplexer Raum für dessen Explosivität Europa historisch und zeitgeschichtlich erhebliche Mitverantwortung trägt. Einseitige Schuldzuweisungen vom Sofa aus sind da entbehrlich. Dem Staat Israel ist dabei immerhin zugute zu halten, dass er vergleichsweise freiheitlich und sozial verfasst ist bei relativ hohem Bildungsniveau.