Alle reden über Fußball. Und über Wunder. Der FC Liverpool stürmte ins Finale der Champions League, weil er auf eine 0:3-Niederlage aus dem Hinspiel am Dienstagabend mit einem begeisternden 4:0-Heimsieg antwortete. Am Ende stand Trainer Jürgen Klopp Arm in Arm mit seinen Spielern vor der Fankurve. Das ganze Stadion sang: "You’ll never walk alone." Ein magischer Moment. Ein Fußballwunder.
Wundersam auch die Wiederauferstehung des zweiten Finalisten am gestrigen Abend: Die Tottenham Hotspurs lagen zur Pause schon 2:0 gegen Ajax Amsterdam zurück, glichen zum 2:2 aus und erzielten in der sechsten Minute der Nachspielzeit noch das 3:2. Wieder ein magischer Moment, über den die Leute heute reden. Dienstag- und Mittwochabend zeigte der Sport, wozu er fähig ist: Er symbolisiert die Kraft, die darin liegt, dass Menschen nicht aufgeben, dass sie ans Wunder glauben und dafür kämpfen, sie wahr werden zu lassen. Ohne diesen Glauben ist auch eine Gesellschaft mutlos. Das macht den Sport so besonders, so symbolträchtig. Es ist eben nicht nur ein Spiel.
Die Vereine wittern noch mehr Geld, das in noch absurdere Ablösen fließt
Blöd nur, dass Fußballwunder Bezahlkunden vorbehalten sind. Keines der beiden Halbfinalspiele war im Free TV zu sehen. Wer die Spiele sehen wollte, musste Sky- oder DAZN-Kunde sein. Im Finale wird es nicht anders sein. Das ZDF hatte vor zwei Jahren zu wenig Geld geboten, die UEFA als Ausrichter der Champions League vergab die Rechte anderweitig. Kein Vorwurf: Eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt darf keine Unsummen bieten. Der Vorwurf geht an die Vermarkter und die Vereine, die noch mehr Umsätze wittern, die in immer absurdere Ablösesummen und Spielergehälter fließen. Längst träumen sie von einer europäischen Eliteliga, mit der noch mehr Geld zu machen sei.
Für den Fußball ist diese Entwicklung gefährlich, er verliert seine Basis, die Fans. Davon können die tollen Halbfinalspiele in Liverpool und Amsterdam nur kurz ablenken. Geht der Profifußball an seiner Gier zugrunde, fehlt uns ein wichtiges Gesprächsthema. Das ist gefährlich in einer Zeit, in der die Gesellschaft sich segmentiert in Gruppen, die gleichgültig nebeneinander herleben oder sich, schlimmstenfalls, spinnefeind sind. Der Kitt, zu dem der Fußball gehört, bröckelt.
Pay TV-Kunde werden? Das muss man sich erst mal leisten können!
Sollen die Leute eben Kunden bei Bezahlsendern werden oder in die Fußballkneipe gehen! Wer die Spiele mit Freunden schaut, erlebt mehr Gemeinschaft als früher, als jeder nur vor seiner Glotze saß! – Ja, das kann man erwidern. Aber erstens kann nicht jeder abends raus, junge Familien zum Beispiel. Und: Wer auf Sky die Spiele auf Champions League sehen möchte, kann mit 300 Euro im Jahr für ein Abo rechnen. Manche mögen das belächeln, aber just in dieser Woche veröffentlichte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung eine Studie, nach der Menschen mit sehr geringen Einkommen heute weniger Geld als 1991 verdienen. Im Schnitt stiegen die Einkommen seit der Wiedervereinigung zwar kräftig – aber das meiste an Zuwächsen blieb denen vorbehalten, die schon immer gut von ihrer Arbeit leben konnten. Es geht uns eben nicht allen besser. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weiter auseinander als früher – und die seit Jahren steigenden Mieten dürften die Entwicklung weiter verschärfen.
Alle reden von Fußballwundern, aber die wenigsten können wirklich mitreden. Das ist schade. Englische Fans singen treffend: Football is made for you and me. Aber das stimmt nicht mehr. Immerhin: Das Halbfinal-Rückspiel Chelsea London gegen Eintracht Frankfurt ist auf RTL zu sehen – mit viel Werbung, aber ohne Bezahlticket. Die Chancen stehen schlecht für die Eintracht, die gewinnen oder ein Unentschieden mit mindestens zwei Toren schaffen muss.
Aber Wunder gibt es immer wieder.