Es ist etwas Schreckliches geschehen in Christchurch, Neuseeland, am anderen Ende der Welt. Mindestens 49 Menschen sind tot, weil mutmaßlich ein Attentäter in zwei Moscheen, in denen sich Gläubige zum Freitagsgebet versammelt hatten, um sich schoss. Vielleicht waren es auch mehrere Täter, drei Verdächtige sind in Haft.
Es ist irritierend, wie schnell heute früh eine geübte Reaktionsmaschinerie angesprungen ist – von außen, mit Kommentaren von Regierungschefinnen und Präsidenten. Aber auch in unseren Köpfen.
Ist Paris uns einfach näher als Neuseeland?
Vielleicht muss das so sein, um alles besser verarbeiten zu können. Auch in mir stiegen sofort Gedanken auf, manche waren kaum auszuhalten: Da war zum einen der leise Verdacht, dass unsere Empörung gar zu sehr auf Nähe reagiert. Ich empfand die Trauer in meiner Timeline auf Twitter als unangemessen zurückhaltend, das Europapokalspiel von Eintracht Frankfurt schien präsenter als die Toten in Christchurch. Andererseits: Das so oft vom Terror heimgesuchte Paris ist uns eben näher als Neuseeland. Und wenn in Bagdad eine Bombe viele Menschen tötet, ist das oft auch nur eine Randnotiz. Werden koptische Christen in Ägypten ermordet, sind sie ebenfalls schnell vergessen.
Da war außerdem bei mir noch eine diffuse Wut, Islamhasser könnten eine klammheimliche Freude darüber empfinden, dass es nun Muslime erwischt.
Gewohnte Reflexe
Denn auch diese Information geisterte schnell durchs Netz: Der oder die Täter bedienten sich in ihrem Manifest offenbar einer Sprache, wie wir sie auch in Deutschland von Neurechten kennen, von "The great replacement" ist die Rede, vom großen Austausch, den die Täter mit Schüssen abzuwehren versuchten - welch ein gefährlicher Irrsinn.
Der Gedanke daran aber führt zu noch größerer Verunsicherung, denn sofort setzen die gewohnten Reflexe ein: Ein anderer Tweet erschien in meiner Timeline, Zitat: "Und wieder sind Menschen Opfer des sich ausbreitenden Faschismus geworden. Jeder, der Angst schürt, alle Populisten da draußen, ihr Nazis, das geht auf eure Kappe. Euer Hass tötet. Hört auf, Muslime zu verunglimpfen. Hört auf, Hass und Gewalt zu säen."
Alles wird gedeutet, obwohl man kaum etwas weiß
Nur einen Klick weiter argumentiert der türkische Präsident Erdogan bereits ähnlich: "Ich verfluche diejenigen, die den Terroranschlag begangen haben." Der Anschlag zeige den "wachsenden Rassismus" und die "Islam-Phobie".
Sofort wird alles erklärt und gedeutet, obwohl man noch kaum etwas weiß. Sofort versucht ein Präsident, die Weltöffentlichkeit kurze Zeit nach so einer grauenhaften Tat für sich zu instrumentalisieren, obwohl er selbst den Islam als Ressource nutzt, um im eigenen Land eine Diktatur zu errichten und Tausende wegzusperren.
Wir müssen die Trauer aushalten
Am Ende bleibt ein einziges Durcheinander im Kopf. 49 Menschen sind ermordet worden. Das ist schrecklich genug. Wir müssen lernen, die Trauer darüber auszuhalten. Und innezuhalten. Die Polizei wird ermitteln. Die Deutungen sollten wir auf morgen vertagen. Sonst fallen auch wir dem Terror zum Opfer, nicht direkt, klar, aber auf eine andere Weise. Denn "Terror" hat, laut Duden, mehrere Bedeutungen, eine davon lautet: große Angst.
Gegen Angst lässt sich wenig machen, aber ein paar Momente der Besinnung und Anteilnahme könnten wir ihr schon entgegensetzen.