Jenny und Babs sei Dank
30.11.2010

Jenny Elvers hat ihre eigene Talkshow ­ werktags vormittags auf SAT.1. Eine Talkshow, die schon in ihrem Titel keinen Hehl daraus macht, was sie inhaltlich transportiert: "Klatsch tv". Warum bitte Jenny Elvers? Was qualifiziert sie zur Moderatorin? Hat sie Journalismus gelernt? Hat sie Erfahrungen? Aber ja. Mit sich selbst ­ und mit ihrer Welt. Was sie im Fernsehen präsentiert, sind Informationen wie diese: Wie nennt Heiner Lauterbach seine Frau so ganz privat? Antwort: Schnuffel. Und wie heißt Gwyneth Paltrows Tochter? Apple. Das sind doch wohl brandheiße Informationen.

Was qualifiziert Jenny Elvers zur Moderatorin?

Es ist ein Programmangebot, das nach eigenen Regeln funktioniert. Die Persönlichkeit, die ihr Publikum mit Klatsch an den Bildschirm locken soll, muss einem Reich entstammen, in dem Partymädchen, Teppichluder und Gelegenheitsschauspielerinnen zu Hause sind ­ und natürlich jede Menge wichtiger und einflussreicher Herren, zum Beispiel Filmproduzenten oder Medienmogule, die Schönen und Reichen, deren Beruf es ist, Neugier zu wecken, Gerüchte zu inspirieren, in der "Bild"-Zeitung zu stehen und Dementis zu platzieren. Es dürfen auch Leute dabei sein, die tatsächlich etwas tun oder getan haben, Sportler zum Beispiel oder deren Exfrauen oder Herrenausstatter oder Designerinnen. Die meiste Bewunderung aber bekommen jene, die aus dem Nichts kommen und plötzlich ein Star sind. Einfach so, aufgrund ihrer Jugend, ihrer Figur und ihrer Freizügigkeit.

Jenny Elvers ist nur eine von diesen schaumgeborenen Fernsehstars, deren Qualität darin besteht, "da" (und schön) zu sein. Ein anderer ist Verona Feldbusch. Sie sieht gut aus und hat Humor ­ und schon war die Werbewirtschaft da und machte aus ihr eine Marke. Zum Start verhalf ihr eine Kurzehe mit Dieter Bohlen. Die Zeitungsleser wollten wissen, ob er sie wirklich geschlagen und sie wirklich eine so hohe Abfindung herausgeschlagen hat ­ und statt eine Antwort zu geben, kam Verona ins Fernsehen und machte dort eine sehr attraktive und obendrein irgendwie komische Figur.

Auf inhaltliche Botschaften kam es dabei nicht an. Genauso wenig wie bei Jenny Elvers. Oder Babs Becker. Sie waren nun mal da, das Interesse erwachte und nun wollte man mehr. Die Fernsehpräsenz der "Society"-Schönheiten zog Kreise. Die eine heiratete. Die andere wurde Mutter. Die dritte hatte eine Geschäftsidee. All das war fernsehtauglich. Zumal die Ehe vielleicht nicht halten würde und das Kind vom "falschen" Mann war. Viel Stoff für Klatsch. Warum nicht ein Magazin daraus machen?

"Die inszenierte Welt der Schönen und Reichen"

"Die Welt der Schönen und Reichen": Es gibt sie nicht wirklich. Sie ist virtuell wie die der Daily Soaps im Fernsehen. Sie ist reine Inszenierung, bloßer Bluff. Die Partys sind teuer, der Schampus ist nicht richtig kalt, die schönen Frauen verkühlen sich oder verknacksen sich den Fuß, die wichtigsten Gäste sagen kurzfristig ab. Jenny Elvers existiert natürlich auch als wirkliche Person. Aber die hat ganz normale, wirkliche Sorgen: um die Gesundheit, die Steuern, das neue Haartönungsmittel und wahrscheinlich auch darum, ob die Klatsch-Show und sie als Moderatorin die nächsten Monate überstehen wird. Für das Fernsehpublikum zählt das nicht, für das ist sie einfach nur schön und reich. Und sie weiß manches zu erzählen von den glamourösen Diven und starken Männern, die sie ständig trifft und deren Geheimnisse sie kennt.

Klatsch im Fernsehen ist eine Phantasmagorie, ein einziges Trugbild, und es macht den Präsentatorinnen und dem Publikum umso mehr Spaß, als alle wissen: Der Wirklichkeitsgehalt in diesen Shows um Partyglanz, Blondhaar, Karrieren und Untreue geht gegen null. Das heißt aber nicht, dass es egal wäre, wer sich in den televisionären Klatschspalten tummelt. Irgendeine Spur in der Echtwelt müssen die "Schönen und Reichen" schon hinterlassen haben, damit das Publikum sie als Projektionsfiguren seiner Vorstellungen von Reichtum und Schönheit und von den Kosten dieser Privilegien akzeptiert. Verona Feldbusch muss wirklich von Dieter Bohlen geohrfeigt worden sein, damit man heute Interesse an ihrem Baby nimmt. Babs Becker muss tatsächlich von Boris geschieden worden sein, damit sie heute im TV Lebenshilfe anbieten darf. Bei Jenny Elvers ist es schon schwieriger, eine solche Spur im realen Leben ausfindig zu machen.

Im wirklichen, in unserem Leben sieht es mit dem Klatsch allerdings heikler aus. Er gilt als niedrige Beschäftigung und wurde lange als Zeitvertreib müßiger und böswilliger Frauen, der "Klatschweiber", abgewertet. Mit dem Klatsch hat es jedoch weit mehr auf sich. Unsere lieben Nächsten ­ aber auch die Ferneren wie etwa die Regierung oder die Künstlerprominenz ­ haben ihre Geheimnisse, die zu lüften uns Befriedigung verschafft beziehungsweise für den Umgang mit der eigenen Familie oder mit den Nachbarn durchaus nützlich ist. Denn wer klatscht, überprüft dadurch immer wieder die Kriterien, die den eigenen moralischen Urteilen zugrunde liegen. Wenn ich eine Freundin anrufe und ihr mitteile: "Stell dir vor, die Sowieso hat schon wieder...", und die Antwort lautet: "Na und?" ­ dann weiß ich, dass ich mit einem veralteten Maßstab operiere. Wenn ich jedoch ein atemloses "Nicht möglich!" ernte, bin ich als moralische Zeitgenossin noch einigermaßen à jour.

Schön und reich zu sein rentiert sich nicht

Der Klatsch im Fernsehen ist insofern harmloserer Natur, als er vor allem unterhalten soll. Das Publikum ist aufgefordert, sich einen Reim darauf zu machen und eine Summe daraus zu ziehen. Zum Beispiel diese: Schön und reich zu sein rentiert sich nicht. Auch die Schönen haben Unglück in der Liebe. Auch die Reichen kommen ins Gefängnis, wenn sie Steuern hinterziehen.

Sofern die Dauerparty, auf der die Promis dieser Welt das Tanzbein schwingen, eine Fortsetzung in der Wirklichkeit findet, ist vom Glanz oft kaum noch was übrig. Dann schlagen die normalen Existenzsorgen durch. Die populäre Vorstellung von Glamour mischt sich mit den realen Untiefen eines Prominentenlebens. Wir erfahren dann, dass auch Stars sich scheiden lassen oder ungewollt kinderlos sind oder gar beraubt werden ­ und sind ganz froh, dass wir als Normalos wenigstens nicht in der Zeitung stehen. Das mindert unseren Neid auf die mondänen Zirkel und stillt zugleich unsere Neugier. Was machen die Promis bloß mit dem vielen Geld? Wie ist ein Leben mit Bodyguards? Auch die verbliebenen Königshöfe Europas nähren diese zwiespältigen Gefühle: Mal bewundert man die Majestäten, mal schüttelt man den Kopf über sie, schließlich tun sie einem Leid.

Was beim Publikum Verwirrung stiftet, ist die Leichtigkeit, mit der sie und andere Moderatoren ihren Status als Quasi-Star errungen haben. Für die "Superstars", die "Big Brothers" und manche genuinen Fernsehgewächse gilt dasselbe. Andere müssen sich plagen ­ ihnen fällt's in den Schoß, das ist ungerecht. Derart aufgebrachte Zuschauer trösten sich mit dem Gedanken, dass der illegitim erworbene Ruhm nur zu bald zerstiebt, und dann sitzen die Glamourgirls und -boys wieder im Kämmerchen.

Ob man ihnen den Ruhm nun gönnt oder nicht ­ die Virtualität ihres Prominentenstatus hat für das Medium Fernsehen und auch für das Publikum einen großen Vorteil: Man kann diesen medialen Kunstfiguren alles Mögliche andichten und in sie hineingeheimnissen. Sie sind in ihrer Qualität als Projektionsflächen unübertroffen, denn nur wer für Inhalte steht, würde hier und da ernsthaft widersprechen. Beides ist aber nicht der Fall. Dreht man diese Promis durch die Klatschmühle (nicht ungern treiben sie die Mühle selber an), nehmen sie kaum wirklich Schaden. Auch die Prominenz, die ihren Status echter Leistung verdankt, zieht ihren Nutzen aus der Existenz dieser "Stars": Sie bleiben von den Zudringlichkeiten der Klatschreporter eher verschont. Ein guter Grund für die Fernsehanstalten, sich eine Riege von Kunstfiguren zu leisten, die nichts anderes tut als die Höhen und Niederungen der Spaßgesellschaft zu durchstreifen.

Aber man sollte vielleicht so großzügig sein, auch die Klatschtanten und -onkel als Leistungsträger eigener Art anzusehen. Ihr Treiben mag unter dem Gesichtspunkt des Erkenntnisgewinns komplett sinnlos sein. Aber sie drehen ein Rad, dessen geräuschvolle Bewegung ein breites Publikum mit Illusionen, Emotionen und Vergnügen versorgt. Ob es einem gefällt oder nicht ­ auch der Fernsehklatsch ist ein Geschäftszweig, der seit je boomt.