Die Mehrheit hat lange Jahre geschwiegen. Mit Sorge beobachtet, wie Pegida lauter wurde. Wie die AfD wuchs. Wie Flüchtlingsheime brannten. Dass man was tun müsse, haben sich viele nur gedacht. Bis in diesem Sommer endlich der Knoten platzte: Das Dresdner Rettungsschiff "Lifeline" stand mit 234 Flüchtlingen an Bord auf See und durfte nirgends einlaufen. Horst Seehofer sprach süffisant von 69 Flüchtlingen, die an seinem 69. Geburtstag nach Afghanistan abgeschoben worden waren.
Hanna Lucassen
Da gingen die Leute auf die Straße: Zehntausende in München bei "Ausgehetzt", 10000 für einen "sicheren Hafen" in Hamburg und 6000 bei "Seebrücke statt Seehofer" in Frankfurt. Und schließlich 200000 zu "Unteilbar" nach Berlin.
Ja, es gibt die Gefahr, dass sich die Gesellschaft weiter spaltet, wenn Rechte und Linke immer lauter gegeneinander wettern. Aber die Menschen demonstrierten 2018 nicht nur gegen, sondern auch für etwas: für eine offene Gesellschaft. Und die schließt den Dialog mit Andersdenkenden immer ein. Die evangelische Fastenaktion hieß in diesem Jahr: "Zeig dich! Sieben Wochen ohne Kneifen." Im Jahr 2018 haben viele, die lange geschwiegen haben, ihre Haltung gezeigt. Endlich.