Truthahn to go. Miniaturherd zum Anstecken für Thanksgiving in einem New Yorker Geschäft
Jonathan Nackstrand/GettyImages
Die Truthahn-Legende
Beim Thanksgiving stimmt sich Auslandspfarrerin Miriam Groß langsam auf die Adventszeit ein.
Leise summe ich das Weihnachtslied "Herbei, o ihr Gläub’gen", während ich den Truthahn mit einer gewürzten Öltinktur bestreiche. Endlich naht sie, die geliebte Advents- und Weihnachtszeit. Das US-amerikanische "Thanksgiving" ist eine Art Erntedankfest und ist Vorbote der wunderbaren Festzeit. In den USA wird an diesem staatlichen Feiertag das Idealbild einer friedlichen Gemeinschaft von Ureinwohnern und Einwanderern beschworen, die eine neue Heimat gefunden haben. Der Sage nach feierten die Pilgerväter mit den Wampanoag-Indianern 1621 bei Plymouth das erste Thanksgiving und überlebten den anschließenden strengen Winter nur aufgrund der indianischen Hilfe.
Miriam Groß
Miriam Groß
ist Pfarrerin an der
St.-Pauls-Kirche
in New York. 2016
erschien ihr Buch
"Hello Mrs. Father!"
Doch die historischen Wurzeln sind kurz: Den wohl beliebtesten Feiertag gibt es erst seit dem amerikanischen Bürgerkrieg, seit 1863. Als identitätsstiftender Festtag ist er durch verschiedene Ereignisse und Bräuche inspiriert, der Pilgerväter-Mythos gehört prominent dazu. Dass der Truthahn in den Mittelpunkt rückte, ist dem Einfluss der Geflügelindustrie im 19. Jahrhundert zu verdanken. Auch das Schicksal des indianischen Übersetzers Squanto, der zentralen Figur des Mythos, entbehrt jeglicher Romantik. Squanto hatte sich seine englischen Sprachkenntnisse während seiner Gefangenschaft angeeignet und führte den Übersetzerdienst auf Wunsch seines Herrn aus. So schwingt bei dieser uramerikanischen Volksgeschichte ein bitterer und rassistischer Hintergrund mit. Doch im Gedächtnis der allgemeinen Bevölkerung wird dies in eine warme Geschichte um Toleranz zwischen Völkern gekleidet und die amerikanische Zivilreligion in den Familien mit einem wunderbaren Festschmaus tief verankert. Nachdenklich nehme ich den goldbraunen Truthahn aus dem Ofen. Der wohlbekannte, liebgewonnene Geruch lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen und verändert das Weihnachtslied in einen Ruf zu Tisch: "Herbei, o ihr Hungrigen."
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