15.11.2010

Das Telefon klingelt. "Mein Gott, wer ruft denn jetzt schon wieder an?" Alexandra rennt wütend in ihr Büro und knallt die Tür hinter sich zu. Abends kann sie nicht einschlafen und wälzt sich stundenlang im Bett. Nur noch drei Wochen, bis die ganze Familie gestiefelt und gepackt im Autoreisezug sitzen soll! Auch bei ihrem Mann liegen die Nerven blank. Die Kinder werden schon bei der kleinsten Kleinigkeit angeblafft. Sie brechen unerwartet in Tränen aus oder werden patzig. Von Urlaubsstimmung in der ganzen Familie keine Rede, obwohl die angeblich schönste Zeit des Jahres doch unmittelbar bevorsteht.

Aber bis es so weit ist, müssen noch Berge von Post erledigt, Akten abgelegt, Schulaufgaben geschafft oder Notenkonferenzen durchgestanden werden. Unbezahlte Rechnungen warten auf Überweisung, der Zettel von der Reinigung hängt schon wochenlang an der Küchentür. Die Oma wünscht sich zu Recht seit langem einen Besuch. Die Nachbarn wollte man einladen, weil sie immer den Briefkasten leeren und die Blumen gießen. Vor dem Urlaub ist es fast wie vor einem Jahreswechsel - man möchte nichts liegenlassen, sondern unbeschwert wegfahren können.

Es ist auch nicht schön, wenn man wieder nach Hause kommt und vor alten Aufgaben steht, die man nicht mehr erledigt hat.

Ganz zu schweigen von dem schlechten Gewissen Kollegen gegenüber, die möglicherweise aufarbeiten mussten, was man liegenließ. Trotzdem: Wer kurz vor dem Urlaub alles wegschaffen will, was sich in den vergangenen Monaten aufgestaut hat, wird sich überfordern. Der wird atemlos werden, gereizt: Man hockt dann k. o. zu Hause oder im Flugzeug, hängt müde über dem Lenkrad des Autos oder schlapp auf dem Fahrrad.

Was hilft?

Was hilft? Zunächst natürlich, die Arbeit so einzuteilen, dass sich nicht alles in den Tagen vor den Ferien staut. Kommt trotzdem so viel auf einen zu, dass man rotiert, tröstet die Einsicht des Apostels Paulus: Alles in unserem Leben ist "Stückwerk". Wir bringen es nicht zu Vollkommenheit - auch nicht, wenn wir von früh bis spät ohne Unterbrechung schuften. Wer nach dem Unmöglichen strebt, kann darüber entnervt oder krank werden. Heilsamer ist es, sich mit den Schönheitsfehlern des eigenen Alltags zu arrangieren. Die Arbeit energisch anzugehen, aber sich auch gut auf freie Zeit vorzubereiten.

So wird man den Urlaub mit Leib und Seele genießen können, statt allein für Arbeit und Familie wieder fit zu werden. Man könnte zum Beispiel abends genüsslich Reiseführer studieren oder zum Essen in ein spanisches oder italienisches Restaurant gehen, wenn man in diese Länder reisen wird. Vielleicht zu Hause eine bayerische Brotzeit oder ein Fischessen wie an Nord- und Ostsee veranstalten, falls das die Ziele sind, die der Familie vorschweben. Am Wochenende könnte man mit Partner und Kindern Fahrräder, Wohnmobil oder Zelte auf Vordermann bringen - verbunden mit einem kleinen Ausflug, der schon mal Freiheit atmen lässt.

Wenn die Belastungen am größten sind, sind Unterbrechungen des Alltags besonders wichtig: einen Espresso im Straßencafé, ein Eis zwischendurch, sich zusammensetzen mit Kollegen und Kolleginnen, um sich gemeinsam darüber zu freuen, was man alles geschafft hat - das ist schon mal Urlaub schnuppern und sich des Lebens freuen. Adam und Eva sind aus dem Garten Eden vertrieben worden, weil sie alles wissen, alles beherrschen und in den Griff kriegen wollten. Kann sein, dass man ein paar Schritte wieder ins Paradies hineinkommt, wenn man genau so, wie man gerade ist, an seine Pforten klopft.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.