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Sie kennen die Geschichte von Sisyphos. Der König von Korinth hatte die Götter mehrfach überlistet. Zur Strafe ließen sie ihn in der griechischen Unterwelt einen großen, schweren Stein immer und immer wieder einen Berg emporrollen. Kurz bevor er mit seiner Last oben anlangte, kullerte das Objekt seiner Mühe wieder zu Tal. Alles begann von vorn.
Die Geschichte von Sisyphos findet sich im Mythos des Fortschritts
Ich glaube nicht an Wiedergeburt. Ich glaube auch nicht daran, dass sich ein beleidigter Gott nur weil er überlistet wurde ewige Frustration als Strafe dafür ausgedacht haben soll. Ich bin nach anderthalb Jahrzehnten Kampf mit dem Computer aber fest davon überzeugt, dass die Geschichte von Sisyphos der Mythos des Fortschritts an und für sich und speziell jener Revolution ist, die man die elektronische nennt.
Vor 18 Jahren habe ich mir den ersten PC gekauft. Seine Festplatte konnte ein Megabyte Daten speichern. Der Monitor flimmerte in grobkörnigem Schwarz-Weiß. Als akustische Signale drangen aus dem Gehäuse seltene Pieptöne. Als ich zu denken begann, ich beherrschte die Technologie, waren längst neue Computer auf dem Markt, die noch mehr, noch Besseres konnten. Und sie wurden immer billiger. Als ich den nächsten Desktop kaufte, stellte sich erstmalig das Gefühl ein, nie und nimmer auch nur einen Bruchteil der Anwendungen und Möglichkeiten ausschöpfen zu können, die mir das Gerät anbot. Das blieb bis heute so.
Ich habe vieles gelernt: mailen, scannen, surfen, entpacken, konfigurieren, optimieren, konvertieren nur nicht hacken. Dabei würde ich so gerne hacken. Mittenrein in die Callcenter, wo die diversen Hotlines münden, die ich des Nachts verzweifelt anwähle, weil ich wieder ganz unten am Berg stehe mit meinem Stein. Schon die Musik in den Warteschleifen würde ich am liebsten zerhacken, kleinschroten, verstümmeln. Und die endlose Ansage: "Zurzeit sind alle Mitarbeiter beschäftigt, bitte legen Sie nicht auf, wir bedienen Sie, sobald der nächste Serviceplatz frei ist." Zerhacken würde ich auch gerne die Information, wie ich meinen Computer neu starten und dann die CD einlegen und die neue Software aufspielen soll. Aufspielen! Zum Totentanz? Der bislang letzte Anruf bei der Hotline eines großen Telekommunikationsanbieters hat jedenfalls mit den kundigen Anleitungen der Stimme aus der Unterwelt zum Totalverlust wertvollster, über lange Jahre gesammelter E-Mail-Adressen geführt. Aufspielen!
Niemand ist schuld und alle behandeln einen wie einen gefährlichen Irren
Das Schlimmste an der ganzen Geschichte ist die Verurteilung zur totalen Frustration. Denn niemand ist schuld und alle behandeln einen freundlich wie einen gefährlichen Irren. "Wir verstehen Ihren Ärger, Herr Brummer, haben Sie sich den Namen der Mitarbeiterin notiert, mit der Sie gesprochen haben? Nein? Oh, dann können wir lediglich Ihre Beschwerde entgegennehmen. Nein, ich kann Sie leider nicht an den Vorstand unseres Unternehmens weiterverbinden. Selbstverständlich können wir keine Verantwortung übernehmen. Nein, eine Schandensersatzforderung ist in unseren Unterlagen nicht vorgesehen."
Da sitzt man in seinem Ärger. Und schimpft gegen die Wand. Und hat ein schlechtes Gewissen. Die arme Unterteufelin in der Callhölle kann ja wirklich nichts dafür. Sie macht nur ihren Job. Alle machen nur ihren Job, Herr Brummer!
Mein früherer Herausgeber hat mir mal gesagt, schimpfen gegen die Wand sei eine Vorform des Betens. Recht hat er. Die Ohnmacht muss raus. Ich schimpfe auf die unsichtbaren Imperien des Fortschritts und wünsche ihnen, dass sie unendlich viele Programmsteine den Berg der Technologie hinaufrollen müssen. Und ich bete: Führe mich nicht in Versuchung, die neuste Softwareversion aufzuspielen und bewahre mich dadurch vor allen Gesprächen mit Hotlines!