Die Mitarbeiter an der Theologischen Gemeindefakultät Oslo arbeiten auf Hochtouren. Sie bereiten ein Ereignis vor, das ich historisch nennen möchte. Im September wird dem Tübinger Theologen Jürgen Moltmann hier die Ehrendoktorwürde verliehen. Erst mal nichts Besonderes: Unsere theologische Fakultät in Oslo ist die größte in Skandinavien, und der 92-jährige Moltmann gilt weltweit als einer der wichtigsten Theologen. Aber: Der 1926 geborene Deutsche war am Ende des Zweiten Weltkriegs Luftwaffenhelfer. Und es ist das erste Mal, dass ein ehemaliger Wehrmachtssoldat in Norwegen solch hohe akademische und kirchliche Würden verliehen bekommt.
Idar Kjølsvik
Der Schrecken der deutschen Besatzung von 1940 bis 1945 sitzt tief in Norwegen. Um die 350 000 deutsche Soldaten waren hier stationiert, in einem Land mit lediglich rund drei Millionen Einwohnern.Der Krieg hat auch die kirchlichen und theologischen Beziehungen zwischen Deutschland und Skandinavien abrupt beendet. Diese waren über Jahrhunderte gewachsen, spätestens seit Martin Luther hatten beide Seiten den Austausch gepflegt. Eine Verbindung blieb immerhin die Sprache. Bis in die 1990er musste jeder skandinavische Theologiestudent Deutsch lernen, um die Fachliteratur lesen zu können.
Ich selbst habe bei Professor Moltmann in Tübingen studiert, der aus der Hölle des Krieges heraus eine "Theologie der Hoffnung" entwickelt hatte, die in der Nachkriegszeit auf der ganzen Welt Menschen zum Glauben geführt hat. Auch die norwegischen und skandinavischen Theologen haben diese Denkweise aufgegriffen, wenn auch sehr zögerlich: Bei Moltmanns erstem Besuch in Oslo 1968 kam er selbst gar nicht zu Wort, beim zweiten, 1996, war eine Annäherung sichtbar – vor allem die jüngeren Theologen schienen keine Scheu zu empfinden, ihm als ehemaligem Soldaten zu begegnen.
Jetzt, 2018, soll der Durchbruch kommen. Fast alle theologischen Kreise in Norwegen freuen sich sehr darauf, den Theologen der Hoffnung empfangen zu dürfen. Außerdem wird er Vertreter von Politik und Kirche treffen. Mit der Ehrung von Jürgen Moltmann in Norwegen geht ein Kapitel zu Ende, das im Zweiten Weltkrieg begann.