Polizisten und Demonstranten prägen seit mehreren Tagen das Chemnitzer Stadtbild.
epd-bild/Wolfgang Schmidt
Die Stadt Chemnitz ist aufgewühlt. Eine Diskussion mit Ministerpräsident Michael Kretschmer wird von Protesten begleitet. Scharfe Kritik gibt es an den Medien.
31.08.2018

Begleitet von neuerlichen Demonstrationen hat die sächsische Landesregierung das Gespräch mit den Einwohnern von Chemnitz gesucht, das nach dem Tod eines 35-Jährigen seit Tagen nicht zur Ruhe kommt. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) warb beim "Sachsengespräch" am Donnerstagabend im Chemnitzer Stadion um Vertrauen in den Rechtsstaat und versprach eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge der zurückliegenden Tage. In Hör- und Sichtweite zum Veranstaltungsort demonstrierten nach einem Aufruf der rechtspopulistischen Bewegung "Pro Chemnitz" erneut knapp 1.000 Menschen. Zuvor war nach der Veröffentlichung des Haftbefehls zur tödlichen Messerstecherei von Chemnitz ein sächsischer Justizbediensteter vom Dienst suspendiert worden. Er hatte das vertrauliche Papier offenbar illegal in die Öffentlichkeit gebracht.

Justizbediensteter suspendiert

Laut Justizministerium waren am Mittwochabend zahlreiche Objekte durchsucht worden. Die Ermittlungsmaßnahmen konzentrierten sich demnach auf die Justizvollzugsanstalt Dresden. Offenbar sei der Fahndungsdruck so groß gewesen, dass sich der Mann selbst gestellt habe. Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) nannte die Weitergabe von vertraulichen Dokumenten eines Strafverfahrens "verantwortungslos". Dem Justizvollzugsbeamten sei mit sofortiger Wirkung die Führung der Dienstgeschäfte verboten worden.

In Chemnitz war in der Nacht zum Sonntag am Rande des Stadtfestes ein 35-jähriger Deutscher erstochen worden. Zwei mutmaßliche Täter, ein 22-jähriger Iraker und ein 23-jähriger Syrer, sitzen in Untersuchungshaft. Der Vorfall löste zum Teil gewaltsame Demonstrationen aus dem rechten Spektrum aus. Am Sonntag kam es zu Hetzjagden auf ausländisch aussehende Menschen. Am Montag mobilisierten zum Teil gewaltbereite Rechte 6.000 Demonstranten. Die etwa 600 Polizisten im Einsatz hatten Mühe, sie von den rund 1.000 Gegendemonstranten zu trennen. Es gab 20 Verletzte.

"Sachsengespräch" mit Kretschmer

Beim "Sachsengespräch" versprach Ministerpräsident Kretschmer vor rund 500 Zuhörern, es werde alles getan, um den Tod des 35-Jährigen aufzuklären. "Die Mühlen der Justiz mahlen manchmal etwas langsam, aber sie arbeiten sehr gründlich", sagte Kretschmer. Es müsse dafür gesorgt werden, dass nicht Halbwahrheiten, Stimmungsmache und Fake News die Oberhand gewinnen. Grundlage des Zusammenlebens seien Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Der sächsische Regierungschef sagte weiter, er wisse, dass nicht alle Chemnitzer rechtsradikal seien. Die Stimmung in der Stadt am Sonntag und Montag habe allerdings dazu geführt, "dass mancher außer Rand und Band" geraten sei.

Die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) sagte, die Chemnitzer hätten in den zurückliegenden Jahren vieles erreicht: "Lassen Sie uns das nicht zerstören." Sachsens stellvertretender Ministerpräsident, Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD), mahnte mit Blick auf Beobachter und Medien von außerhalb: "Geht fair mit diesem Land und den Menschen um!"

In der Diskussion mit Kretschmer brachten Chemnitzer vor allem Kritik an den Medien vor. "Die Berichterstattung sei eine Katastrophe gewesen", sagte einer der Teilnehmer. Die Medien hätten das Thema nur hochgekocht. Es seien wenige gewesen, die bei den Demonstrationen den Hitlergruß gezeigt hätten.

"Pro Chemnitz" bringt 900 Menschen auf die Straße

Vor dem Chemnitzer Stadion demonstrierten nach Schätzungen der Polizei rund 900 Menschen. Sie folgten einem Aufruf der Bewegung "Pro Chemnitz". Auf einem Banner war etwa zu lesen, "Das Volk steht auf. Für die Zukunft unserer Kinder". Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort, um neuerliche Ausschreitungen zu verhindern.

In den nächsten Tagen sind in Chemnitz weitere Demonstrationen geplant. Das Bündnis "Chemnitz Nazifrei" kündigte für Samstag eine Protestveranstaltung gegen eine am selben Tag geplante AfD-Demonstration an. Am Sonntag lädt die Evangelisch-Lutherische Kirche zu einer Kundgebung auf den Neumarkt ein. Einen Tag später beteiligen sich mehrere bekannte deutsche Bands an einem kostenlosen Konzert in der sächsischen Stadt eingeladen.

Die politischen Reaktionen auf die Vorgänge in Chemnitz rissen auch am Donnerstag nicht ab. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagte dem Sender Bayern 2: "Da müssen wir alle, egal wo wir sind, egal in welchem Teil Deutschlands wir leben, aufbegehren und klar sagen: So etwas geht nicht." Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) rief die Zivilgesellschaft zu mehr Engagement auf; Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) mahnte Toleranz und Weltoffenheit an. Am Freitag besucht Familienministerin Franziska Giffey (SPD) als erste Vertreterin der Bundesregierung nach den Vorfällen die Stadt.

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