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Seit ich Journalistin bin, wird immer mehr verhandelt. In den 90ern war ich Gerichtsreporterin, da war klar: Es wurde über Mord und Totschlag verhandelt, gemäß Duden: "zu Gericht gesessen". Allerdings wurde mehr und mehr gedealt statt verhandelt, weil die Gerichte überlastet und die Anwälte clever waren: Ein Deal vor Gericht spart Arbeit und oft auch Geld. Ein Kuhhandel war das manchmal, Geständnis gegen Haftrabatt – für die Gerechtigkeit so lala.
Ursula Ott
Aber jetzt hat das Verhandeln ein absurdes Terrain erobert: das Feuilleton. Lese ich gerne als chrismon-Chefin, dass am Düsseldorfer Hauptbahnhof Künstlerinnen mit Obdachlosen Schaufenster gestalten. Verstehe ich sofort. Was ich nicht verstehe: Wenn die Kunstkritik drum rumschwurbelt. Da werden Sonnenuntergänge nicht etwa gezeigt. Sondern "im globalisierten Kontext verhandelt", so WDR 3. Aber nicht nur die Sonne scheint Gegenstand von umständlichen Auseinandersetzungen zu sein, sondern die ganze Stadt. In einem Pressetext zur selben Ausstellung: "Das Kunstwerk verhandelt den Zustand des städtischen Umfelds." Echt jetzt? Das Kunstwerk verhandelt einen Zustand?
Der neue Roman von Frank Schätzing "verhandelt die Dilemmata der Künstlichen Intelligenz (KI)" – da fragt man sich: Hat die KI des Feuilletonisten aus "behandeln" aus Versehen "verhandeln" gemacht? Dann ist es eine KD, eine künstliche Doofheit. Oder wird das englische "to deal with" schlecht übersetzt? Dann handelt es sich um DD, um dummes Deutsch.
Verhandelt, im Wortsinn und vor echten Gerichten, wird im August und im September gegen mehrere Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und darüber informieren. Sie bekommen viele Hassmails, die auch unsere Redaktion erreichen. Die Ärztin Kristina Hänel habe ich besucht. Ich traf eine evangelische Christin, die über sich sagt: "Wer mich mit Gott teeren und federn will, ist nicht wahrhaftig."