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Cathy argwöhnt, dass ihr Mann Jack, stellvertretender CIA-Direktor, ein Verhältnis mit einer anderen Frau hat. So erzählt es ein Thriller von Tom Clancy. Anlass für Cathys Argwohn: Jack hat einer Frau einen kleinen Laden gekauft und sorgt für deren Kind. Jack sagt nichts. Erst als der Leibwächter plaudert, weil er das eheliche Elend nicht mehr mit ansehen kann, wird klar: Jack hat natürlich eine weiße Weste. Er schwieg eisern über seine Fürsorge, weil Carolines Mann bei einer geheimen militärischen Operation umkam. Trotz der Klischees faszinieren die Szenen einer Ehe: Frau tappt im Finstern, weil Ehemann Berufsgeheimnisse für sich behält auch um den Preis einer Beziehungskrise.
Vor dem Partner, der Partnerin Geheimnisse haben darf man das? Was berufliche Geheimnisse anbelangt, muss man sogar. Was Ärztin, Pfarrer, Rechtsanwältin oder Geschäftsmann in ihrem Arbeitskontext anvertraut wird, haben sie gefälligst für sich zu behalten. Was aber, wenn einem Freunde etwas unter dem Siegel der Verschwiegenheit flüstern? Wenn einem zum Beispiel die Freundin anvertraut, dass sie von einem verheirateten Mann ein Kind erwartet und nicht weiß, ob sie es bekommen soll? Oder einer der Freunde Angst um seinen Arbeitsplatz hat, weil er das Internet für unerlaubte erotische Ausflüge genutzt hat? Kann man das dem eigenen Partner weitererzählen?
Die Intimität der Ehe hat Vorrang vor der Geheimhaltungspflicht der Freundschaft, sagen manche und halten ihre Gefährten voll auf dem Laufenden. Das ist nicht einzusehen. Freunde, die mir etwas im Vertrauen erzählen, schließen keineswegs immer meinen Partner mit ein; sie verlassen sich auf meine Loyalität, wörtlich Treue. Wer mir etwas sagt, muss damit rechnen können, dass ich absolut dichthalte. Wer möchte denn jede seiner Äußerungen am nächsten Tag vom Ehemann der besten Freundin kommentiert haben? Im Zweifelsfall ist miteinander klipp und klar abzusprechen, was dem Partner weitergegeben werden darf.
Gibt es denn für ureigene Gefühle eine Offenbarungspflicht? Nein. Die blitzartige Frage "Was denkst du?" muss nicht immer beantwortet werden. Mann, Frau sind keine Leibeigenen, die die kleinste Idee, ein ärgerliches Empfinden, die zarteste erotische Phantasie sofort publizieren müssten. Überdies wird mancher ausgesprochene Gedanke schnell Wirklichkeit, statt Stimmung zu bleiben, die sich wieder verflüchtigt. Eine alte verheiratete Dame, befragt, ob sie im Lauf der Jahre einmal an Scheidung gedacht habe, sagt lächelnd: "Nein, aber an Mord." Solche und ähnliche Anwandlungen können ein kleines Geheimnis bleiben.
Wer jedoch mit sich und seinen Gefühlen nicht zu Rande kommt, sollte sich aussprechen mit jemand, dem man unbedingt vertrauen kann. Der Partner, die Partnerin sind nicht die richtige Adresse für alles, was in einem vor sich geht. Der andere muss nicht über alles Bescheid wissen. Das könnte sonst leicht in eine Diktatur ausarten, wie sie Georg Büchner in "Dantons Tod" beschreibt: "Wir müssen uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren..." Das kann es nicht sein. Feine Differenzierung zwischen dem, was gesagt werden muss, und dem, was ein Mensch besser, weiser für sich behält, bleibt einem nicht erspart. á
Manchmal aber darf man nicht schweigen. Entscheidende Fragen, Zweifel und Ereignisse, die die Partnerschaft betreffen, sollte man vorbringen. Wer schon einmal die Erfahrung gemacht hat, dass der andere so lange Wesentliches für sich behielt, bis es zu einem letzten, finalen Eklat kam, der will ein solches Ende nie mehr erleben. Ist der Partner ein ewiger Geheimniskrämer, bleibt einem selbst nur Unsicherheit. Sagt der andere gerade die Wahrheit? Was hält er zurück, was verschweigt sie mir? Auf dieser Dauergrübel-Basis lässt es sich nicht miteinander leben, das verzehrt Energie und Lebenskraft. Liebe braucht Wahrhaftigkeit, sie braucht es, dass man die Wahrheit, das Richtige sagt, mit der Absicht, damit den Partner, die Partnerin zu lieben und zu ehren auch wenn es ungemütlich für einen selbst wird.
Solche Unannehmlichkeiten sind sie wirklich unannehmbar? vermeidet mancher dadurch, dass er dem Partner "so etwas" nicht zumutet, ihn lieber schont. Unter "so etwas" läuft alles von der durchzechten Nacht über falsch angelegte, verlorene Gelder und ein Wiedersehen mit dem trennungsresistenten Ex bis zum Ehebruch. Jeder muss selbst entscheiden, was er dem Partner sagt oder vorenthält. Aber wer schont hier eigentlich wen? Meist doch der sich selbst, der vorgibt, den anderen rücksichtsvoll zu behandeln. Solches Verschweigen ist kein Schongang, sondern Feigheit, um sich das Schleudern zu ersparen. Ärger noch: Es macht den anderen zu einem Unmündigen.
Wer dagegen die Wahrheit sagt und Geheimnisse preisgibt, die direkt die Partnerschaft betreffen, überlässt es dem Partner, der Partnerin auf das Mitgeteilte zu reagieren als selbst denkender und handelnder Mensch. Das mag gelegentlich eine Zumutung sein, etwas, das dem anderen zumutet, mit unerwarteten oder unerfreulichen Neuigkeiten umzugehen, sich dazu zu verhalten. Aber äußere Wahrhaftigkeit nimmt nicht nur den anderen ernst und gewährt ihm die Ehre der Auseinandersetzung, sondern zeigt auch Respekt vor sich selbst: Man bleibt ehrlich, gesteht sich die Wahrheit des eigenen Lebens ein und gewinnt damit sogar in Schwäche an Würde. Susanne Breit-Kessler
Das meinen Leserinnen und Leser
Ich kann mir zu der Frage keine bessere Antwort vorstellen als die Thomas Manns in der Princeton-Vorrede zum "Zauberberg": "Der Mensch ist ein Geheimnis, und alle Humanität beruht auf Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Menschen."
Sebastian Dégardin,
31 Jahre, Hamburg
Es gibt Menschen, für die gilt der Satz: "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß." Für mich gilt er nicht. Ich kämpfe noch heute um die Wiedererlangung des Vertrauens zu meinem Partner. Aus "Rücksichtnahme auf mich" hat er geschwindelt. Ehrlichkeit wäre weitaus besser gewesen. Auf klare Fragen sollten auch ehrliche Antworten erfolgen.
Inga Zehner, 62 Jahre, Berlin
Nach einem Konzert nahm mich ein Chorsänger zum Abschied in den Arm. Mein Herz öffnete sich. Ich hatte mich verliebt in einer Umarmung.
Mein Mann rastete natürlich aus, aber auf wundersame Weise haben wir wieder zusammengefunden. Er ist liebevoll, romantisch, spricht viel mehr von seinen Gefühlen. Ich kann nur sagen: Die Wahrheit, zu der ich erzogen wurde, ist der schmerzhaftere, aber auch der bessere Weg.
Dagmar Urbansky, 41 Jahre,
Kronberg im Taunus
Manche Geheimnisse brauchen Zeit, und man muss erst Vertrauen haben, um sie preiszugeben. Ebenso kann man vom Partner nicht verlangen, dass er sein Leben schonungslos vor einem ausbreitet. Jeder Mensch braucht seine innere Bühne und seinen Schutz. Den darf man nicht um jeden Preis, auch nicht um den Preis der angeblichen Wahrhaftigkeit, mit Gewalt durchbrechen.
Dietlinde Seemann,
54 Jahre, Papenburg
Aus eigener leidvoller Erfahrung kann ich sagen, dass Geheimnisse die Beziehung belasten, ja verdüstern. Werden sie aufgedeckt, fällt für immer der Schatten des Misstrauens auf die einst womöglich vorbehaltlose Liebe. Offenheit lässt Platz für die Liebe.
Monika Richter, 39 Jahre,
München
Vor 57 Jahren war ich bei einem Gynäkologen einbestellt, um Einzelheiten wegen einer Operation zu klären. Er meinte: "Die Operation ist nicht mehr nötig, Sie bekommen ein Kind." Das war für mich so umwerfend, dass widerstrebende Gefühle in mir hochkamen: große Freude, Sorge. Ich dachte: Darüber kannst du jetzt kein Wort sprechen! Erst später konnte ich das Geheimnis unbeschwert mit meinem Mann teilen.
Dietlind Erich, 78 Jahre,
Darmstadt
Sollte ich mich in einen anderen Mann verlieben und meinen, dass diese Verliebtheit gegenüber der Liebe zu meinem Ehemann Bestand haben könnte, würde ich vorher meine Ehe beenden. Der Mensch braucht klare Grenzen.
Ingrid Müller-Markow,
39 Jahre, Hamburg
Es liegt an meinem Beruf als Arzt, dass mir die meisten Menschen mehr anvertrauen als anderen. Ohne Übertreibung kann ich behaupten: Manche Menschen kenne ich besser, als sie ihren eigenen Ehepartner. Sie teilen mir Geheimnisse mit, die man sonst verschweigt. Dabei wird mir bewusst, dass ich niemanden habe, dem ich je ein Geheimnis anvertrauen würde. Fragt man mich nach dem Rezept meiner Ausgeglichenheit, sage ich: "Ich vertraue nur mir."
Mathias Knoll, 53 Jahre,
Arnsberg
Im Vertrauen
Jeden Monat laden wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein, uns Ihre Erfahrungen zu einem vorgegebenen Thema mitzuteilen. Schildern Sie Erlebnisse und Begegnungen, lassen Sie uns an Ihren Beobachtungen teilhaben!
Das Thema für März: Muss ich meinen Geburtstag feiern? Ein Tag wie kein anderer. Und alle würden am liebsten mitfeiern, Familie, Freunde, Kollegen. Nur das Geburtstagskind möchte flüchten. Sollte man sich einen Ruck geben und doch ein Fest machen? Oder darf man selbst am runden Geburtstag einfach verreisen?
Zu diesem Thema schreiben Sie uns bitte, mit Angabe Ihres Alters, bis zum 31. Januar
chrismon
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