Das macht Mutter doch gern!
Wenn Adventskekse und andere Kalorienbomben die vorweihnachtliche Gemütlichkeit sprengen ...
15.11.2010

Mit vielen feinen Schweißperlen auf der Stirn steht Hella in der Küche. Sie backt, was das Zeug hält. Nach den Plätzchen sind es jetzt noch die Stollen, die fertig werden müssen. Hella ist inzwischen 70 Jahre alt und könnte sich ein bisschen mehr Ruhe gönnen. Nur: Tochter Dagmar hat sich zu Weihnachten angesagt. Und die liebt doch ihr Selbstgebackenes immer so! Also schuftet Hella weiter und sieht sie schon vor sich: Dagmar, die sich die Köstlichkeiten schmecken lässt.

Hella schindet sich, der Tochter eine Freude zu machen. Die will das gar nicht.

Aber Dagmar stopft das Gebäck in den letzten Jahren bloß in sich hinein, damit sich die Mutter freut. Eigentlich hat sie nicht mehr so viel Lust auf Süßes. Außerdem könnte man das, was man braucht, genauso gut kaufen. Selbstgemachtes ist zwar fein, aber es gibt Bäcker, die mit Mutters Rezepten mithalten können. Eine heikle Situation: Hella schindet sich, um der Tochter eine Freude zu machen. Und die will das gar nicht - vor allem möchte sie, dass die Mutter sich nicht mehr so plagt.

Es ist schwer, solch zweifache Botschaft anzubringen, wenn sich kleine Schwindeleien an Feiertagen eingespielt haben: Der aufwendig zubereitete Karpfen am Heiligen Abend, obwohl die ganze Familie lieber Käsefondue essen würde; Tante Ingrids Dauergeschenk Quittenmarmelade, die keiner mag und für die sie zig Kilometer fährt, obwohl sie sich hinter dem Lenkrad nicht mehr so sicher fühlt. Wer sagt, "Mach's dir doch einfacher! ", wird meist Entrüstung ernten: "Aber es macht mir nichts aus! Und ich tue es gerne für dich!"

Wenn man dann noch anklingen lässt, dass einem der Sinn weder nach Fisch noch nach Kalorienbomben steht, trifft man den anderen mitten ins Herz. Man steht da als diejenige, die Mühe und Liebe offenbar nicht zu schätzen weiß. Solche Feiertage kann man schon mal abschreiben. Wer ungeliebte Traditionen verändern möchte, ohne andere zu verletzen, der muss unbedingt den richtigen Zeitpunkt wählen. Das Fest selbst ist dazu nicht geeignet.

An Weihnachten sind alle dünnhäutig

An Weihnachten sind alle dünnhäutig. Die Vorbereitungen haben Kraft gekostet, man ist erschöpft und zugleich voll gespannter Erwartung. In diese Sensibilität hinein kann man nicht mit Kritik am Speiseplan und an monotoner Geschenkeauswahl platzen oder der Bemerkung, dass Mutter sich einfach zu viel zumutet. Der beste Zeitpunkt ist einige Wochen vor dem Fest, am besten am Anfang des Advents oder noch vorher. Man setzt sich in aller Ruhe zusammen und bespricht, wie Weihnachten diesmal aussehen soll.

Verbunden mit der Erinnerung, wie schön es bisher (fast) immer war, kann man liebevoll miteinander überlegen, was unbedingt bleiben soll und was anders werden könnte: Schließlich ändert man sich und seine Vorlieben im Lauf des Lebens. Davon muss man erzählen, damit andere einen verstehen. Es lassen sich auch Kompromisse finden: vielleicht drei Sorten Plätzchen selber backen, dafür einen Stollen bestellen. Statt des großen Festessens ein leichtes Menü planen und zusammen vorbereiten.

"Fürchtet euch nicht! ", sagen die Engel zu den Hirten auf dem Feld. Sie sind erschrocken über das, was da unerwartet in ihr Leben ein- und jede Routine unterbricht. Fürchtet euch nicht. "Die große Freude, die allem Volk widerfahren wird", rührt daher, dass Gott Mensch wird. Unsereins kann angesichts dieses bahnbrechenden Wandels ruhig darangehen, die eine oder andere Veränderung im eigenen Leben anzupacken. Erst recht zu Weihnachten. Und dabei selber wieder ganz Mensch werden.