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Weihnachten ist ein Familienfest, das findet fast jeder. Bei 80 Prozent der Deutschen steht Weihnachten nach wie vor hoch im Kurs, so hat jüngst eine Umfrage ergeben: als ein Fest der Liebe, ein schönes Ritual, auf das sie nicht verzichten möchten. 70 Prozent feiern am liebsten im großen Familienkreis, und 77 Prozent sind der Meinung, dass Familienfeste in einer Welt, in der es immer mehr Singles gibt, wichtiger denn je sind. Folglich muss die Familie zusammenkommen, auch damit die "armen" Einzelgänger gut aufgehoben sind. Alle stürzen sich also mehr oder weniger begeistert in Vorbereitungen die nämlich sind laut Umfrage nicht so beliebt. Die einen kaufen ein wie die Weltmeister, backen und kochen. Die anderen packen Babywindeln, Fläschchen und Spielzeug zusammen, stopfen den halben Haushalt samt Präsenten ins Auto und brausen durchs Land, um bei Eltern oder Geschwistern ein paar geruhsame Tage zu verbringen.
Geruhsam? An Weihnachten bricht so ziemlich alles auf, was bis dahin sorgsam unter der Decke gehalten wurde. Ehekrisen, uralte und bislang nicht aufgearbeitete Streitigkeiten, sie drängen ähnlich wie im Urlaub mit Gewalt an die Oberfläche, und es kracht. Wenn man Glück hat, am Vormittag des Heiligen Abends, sozusagen bei der Generalprobe. Da kann man dann wenigstens darauf hoffen, dass die Premiere am Nachmittag und Abend klappt. Schlimmer ist, wenn unter Alkoholeinfluss oder weil die Nähe der anderen allmählich zu viel wird, den Anwesenden schlechte Eigenschaften und Versäumnisse aus Vergangenheit und Gegenwart um die Ohren gehauen werden. Manch einer schwört sich nach solchen Auftritten: "Nie wieder!", und rennt dann doch alle Jahre wieder los, um sich und das eigene Heim in weihnachtlichem Hochglanz zu präsentieren. Die anderen zerren derweilen erneut den Koffer aus dem Keller, um sich reisefertig zu machen. Auf Einladungen verzichten? Nie!
Vor Jahren habe ich mich sehr amüsiert, als ich in einer Jugendzeitung Tipps las, "um Weihnachten stressfrei zu überleben". Der Autor empfahl der Leserschaft, entweder zu den Zeugen Jehovas oder zum Buddhismus zu konvertieren, sich von einem Schamanen in mehrtägige Ekstase trommeln zu lassen, während der Feiertage als Kartenabreißer im Bahnhofskino zu arbeiten oder mittels einer kleinen, harmlosen Straftat für drei Tage in den Knast zu wandern. Sollte dies alles nicht auf Anklang stoßen, riet der Verfasser des Artikels, Weihnachten als Gesamtkunstwerk zu zelebrieren und das Weihnachtsevangelium auswendig zu lernen. Da wurde deutlich, dass es alles andere als leicht ist, Familientraditionen zu entgehen. Ich selber, lange Jahre ohne Familie und damit am Fest der Liebe frei von Verpflichtungen, habe mich nach meiner Heirat wieder daran gewöhnt, dass es familiäre weihnachtliche Etikette gibt, die zu achten ist.
Schwiegereltern und alte Freunde, Schwägerin und Kinder warteten am ersten Feiertag begeistert auf meinen Mann und mich, um die gewohnte Gans zu verspeisen. Sie lieben es, einzuladen und großartig zu bewirten. Nun esse ich meistens vegetarisch und kann es außerdem nicht leiden, wenn ich nach einer langen Heiligen Nacht am nächsten Morgen aus dem Bett stürmen muss, um pünktlich 60 Kilometer weiter am Mittagstisch zu sitzen. Was tun, wenn ich ausschlafen und trotzdem die Traditionen lieber Menschen achten möchte? (Ganz abgesehen davon, dass mein Mann das Jahr über immer wieder sehnsüchtig an Gans, Knödel, Blaukraut und Selleriesalat denkt.) Was also tun? Reden. Die eigene Haltung freundlich, deutlich und zugleich plausibel vermitteln. Ich habe damit Erfolg gehabt. Der Heilige Abend und der erste Feiertag gehören seitdem mir und meinem Mann ganz allein wir laden niemand ein, sondern genießen unsere Zweisamkeit, hören in aller Ruhe Musik und lesen. Ein ruhiges Fest der Sinne.
Am zweiten Feiertag fahre ich dann gerne los, um der Familieneinladung vergnügt zu folgen. So kommen alle zu ihrem Recht; alle sind mit dieser Lösung zufrieden. Die vielen Krisen, die an Weihnachten Menschen erschüttern, Familien und Singles, rühren nur vom Zwang her. Vom Zwang, eng aufeinander gepackt Stunden um Stunden oder gar Tage harmonisch miteinander zu verbringen. Und vom Zwang, sich einem Heile-Welt- und Heile-Familie-Idyll unterwerfen zu sollen oder zu wollen einem Idyll, das es nie gegeben hat, schon gar nicht in der Bibel. Dort ist bei der Geburt Jesu von Notunterkunft die Rede, von armen Leuten, von einer Flucht ins Ausland, von Verfolgung und Asyl. Die Botschaft des Weihnachtsfestes ist Fleisch gewordene Liebe, und Liebe verträgt ganz einfach keinen Druck, sie braucht Luft und Raum zur Entfaltung. Aus Zwang erwächst Hass Liebe dagegen ist ein Kind der Freiheit.
Gott ist aus freien Stücken Mensch geworden, ist Kleinen und Großen hautnah gekommen, damit sie im besten Sinne zwanglos leben und ihr Dasein frohgemut gestalten können. Feiern und Zusammensein gehört genauso dazu wie Distanz zu halten und den zeitweisen Rückzug zu genießen. Weihnachten ist nur einmal im Jahr aber es sind drei lange Tage, diesmal sogar mit einem Wochenende direkt hinterher. Man kann sich vorher gemeinsam und in aller Ruhe überlegen, wann man beieinander sein möchte und wann jeder Zeit für sich braucht. Könnt' ja sein, dass nach einem solchen Gespräch, in dem jeder Lust und Last ausspricht, ein tiefes Aufatmen durch die Runde geht. Dann kann Weihnachten werden.
Das meinen Leserinnen und Leser
Bei den Eltern meines Mannes in Italien war das Fest einfach, dafür ohne Aufregung. Mein Mann sagte immer: "Bei uns wird an Weihnachten nur Ravioli aufgetischt." Man aß Ravioli in Rotwein, mit Tomatensauce, mit Butter oder in Fleischbrühe. Ich habe schöne Erinnerungen daran. Dem anderen zeigen, dass man ihn liebt und gerne mit ihm zusammen ist nur das zählt.
Silvia Beretta, 56 Jahre,
München
Der hiesige CVJM organisiert jedes Jahr eine Feier für Alleinstehende. Wie im letzten Jahr wirke ich wieder mit. Mich stört es nicht, den Weihnachtsabend mit Fremden zu verbringen. Wenn der Sinn des Zusammenkommens nur Resultat von Gewissensbissen wäre, dann fände ich es sinnvoller, auf eine große Familienfeier zu verzichten. Der Zwang zur Harmonie ließe den Eingeladenen jeden Bissen von der Gans schwer im Magen liegen.
Daniel Hildebrandt,
17 Jahre, Emden
Weihnachten lädt dazu ein, uns in Stille und mit sachten Schritten der Liebe zu uns selbst zu nähern. Und vielleicht heißt das für den einen oder anderen auch, das Weihnachtsfest liebevoll mit der Familie zu begehen.
Karin Rieger, 20 Jahre,
Geretsried
2002 war das erste Weihnachtsfest, an dem ich vollkommen alleine war. Am Heiligen Abend besuchte ich die Gräber meiner Angehörigen und das Grab meiner Lebensgefährtin. Auf der A24 las ich auf einem Wegweiser "Kloster Heiligengrabe" und änderte meinen Plan. Auf dem Rückweg fuhr ich zum Kloster. Ich bat die Schwestern, am Gottesdienst teilnehmen zu dürfen, was freudig gestattet wurde. Da wenig Verkehr war, konnte ich auf der Heimfahrt meinen Gedanken über Weihnachten folgen, es war eine ganz persönliche Andacht.
Bruno Möller, 82 Jahre,
Geltow
Ich bin Mutter von Irene, 50, und Albrecht, 48, vor 19 Jahren starb mein Mann. Seitdem ich allein bin, lade ich alle zu Weihnachten ein. Ich musste mich dazu nie zwingen, denn die Feste sind Höhepunkte in meinem Jahresablauf. Schon das Planen was koche ich, wie schmücke ich die Wohnung bringt mich in Stimmung. Der Hauptgrund aber ist, dass ich alle in Augenschein nehmen kann und dass meine Enkelkinder sich wiedersehen.
Elisabeth Scherfer,
74 Jahre, Esslingen
Ich habe ganz unvernünftigerweise Erwartungen an den Heiligen Abend, deren Erfüllung ich mir nicht selbst inszenieren kann. Es geht eben nicht nur um Geschenke; die Sehnsucht nach Geborgenheit in der Unbehaustheit der Welt bricht an diesem Abend auf. Niemand muss mich einladen aber ich wäre gern eingeladen: nicht nur mit einem "Du kannst selbstverständlich immer zu uns kommen". Ich weiß, ich erwarte zu viel . . .
Elke Tegtmeyer, 67 Jahre,
Hamburg
Als Pastor mit mir als Organistin hatte mein Mann an Weihnachten fünf Gottesdienste zu halten. Für Gemütlichkeit blieb da erst am zweiten Weihnachtstag nachmittags etwas Zeit. Die Frage unserer Kinder "Wollt ihr kommen?" beantworten wir stets mit: "Nein, denn unser Nachholbedarf an besinnlichenWeihnachtstagen ist immer noch nicht gedeckt."
Dorothea Bode, 75 Jahre,
Bad Lauterberg
O Schreck, o Graus! - fällt mir als Erstes ein. Und es war doch auch für mich als Kind ein schönes, geheimnisumwobenes Fest. Jetzt habe ich Enkel und versuche es für die mit meinen bescheidenen Mitteln auch schön zu gestalten. Lesen der Weihnachtsgeschichte als Bilderbuch und die Geschenke verteile ich hinter einem Vorhang hervor mit einer Weihnachsmannpuppe. Und trotzdem: Jedes Jahr fürchte ich mich vor der Advents- und Weihnachtszeit. Dabei bin ich "erst" 65, kann noch, wenn auch mit Stock, laufen und muß also nicht wie viele noch Ältere immer zu Hause sein.
Wenn ich das Geld hätte, würde ich über die Feiertage in ein Land fahren, wo man nicht Weihnachten feiert, aber nur weil es zu weh tut, in der Zeit allein zu sein, denn eigentlich finde ich die Weihnachtszeit schön - abgesehen von dem schrecklichen Konsumweihnachten.
Renate Meier, 65 Jahre, Berlin
Im Vertrauen
Jeden Monat laden wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein, uns Ihre Erfahrungen zu einem vorgegebenen Thema mitzuteilen. Schildern Sie Erlebnisse und Begegnungen, lassen Sie uns an Ihren Beobachtungen teilhaben!
Das Thema im Februar: Ist Glück nur eine Frage der Einstellung? Schon lange nicht mehr richtig froh gewesen? Glück ist kein Seelenzustand, der sich herstellen lässt. Oder können wir doch lernen, das Leben von einer anderen, positiven Seite aus zu betrachten?
Zu diesem Thema schreiben Sie uns bitte, mit Angabe Ihres Alters und Wohnorts, bis zum 31. Dezember.
Wir behalten uns vor, Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.
chrismon
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