15.11.2010

Die dunkelhaarige Schönheit räkelt sich mit stahlhartem Blick. Eine Hand ist bedrohlich hinter ihrem Rücken versteckt. Die andere legt sie krallenartig gespreizt dem Mann aufs Gesicht, der seinen Kopf auf ihren Schoß gelegt hat. Matt versucht das Opfer, ihren Arm von sich abzuwehren. Die laszive Szene wirbt für ein italienisches Parfum. Es heißt "Vendetta", Blutrache. Vendetta ist sexy. Vendetta ist etwas für Frauen.

In dem Film "Club der Teufelinnen" spielen Bette Midler, Diane Keaton und Goldie Hawn umwerfend drei Gattinnen, deren Männer jahrelang von ihnen profitiert und sich schließlich eine Jüngere genommen haben. Genussvoll malen sie sich diverse Gemeinheiten aus. Schließlich nehmen die "Teufelinnen" ihre Exmänner nach Strich und Faden aus. Zugunsten einer Organisation, deren Geld betrogenen Frauen zugute kommt. Rache ist süß. Solche Rache ist etwas für Frauen. Frauen rächen sich angeblich gerne durch genau kalkulierte emotionale Hiebe.

Eine Rachegöttin schickt ihm schon mal den Wagenschlüssel, ohne zu verraten, wo das teure Stück parkt, oder bestellt auf seinen Namen Peinliches aus dem Pornoshop. Vor Jahren schnitt eine Amerikanerin ihrem Ehemann im Schlaf den Penis ab und warf ihn vor einem Supermarkt aus dem Autofenster. Gut bezahlte Interviews machten das Opfer berühmt, und Chirurgen nähten ihm fix die verlorene Männlichkeit wieder an.

Beleidigte Männer neigen eher dazu, zuzuhauen oder ihre Machtposition auszunutzen, um gewaltig abzurechnen. Offen wird in der Politik von Vergeltungsschlägen gesprochen. Israel vergilt Mordanschläge von Terroristen mit Raketenangriffen und macht die Wohnhäuser ihrer Familien dem Erdboden gleich. Palästinenser rächen sich für jüdische Siedlungspolitik. Die USA vergelten Angriffe auf ihr Land militärisch.

Anhänger Saddam Husseins wollen den Tod seiner Söhne rächen. Auch die "Schwarzen Witwen" in Tschetschenien haben in Terroranschlägen gegen Russen gezeigt, auf welch blutige Weise sie den Verlust ihrer Männer zu erwidern gedenken. Rache ist politisch und auch sonst gesellschaftsfähig. Was treibt Menschen dazu, sich der Rache hinzugeben und darüber sich selbst zu verlieren?

Man meint, dass Rache für erlittenes Leid entschädigt und einen danach befriedigt zurücklässt. Dieses Leid kann schon eine wüste nächtliche Party der Nachbarn sein, die einem den letzten Nerv raubt. Die oben erwähnte Amerikanerin war von ihrem Mann vergewaltigt worden. Der Wunsch nach Rache entsteht, wenn Menschen in ihrem Ehrgefühl verletzt worden sind, wenn sie selbst oder die Ihren ohnmächtig die Gemeinheit anderer haben hinnehmen müssen. Man bäumt sich auf und will den Schlag zurückgeben: ein verständliches Gefühl, für das sich niemand voreilig schämen sollte. Man erlebt sich elend schwach, wenn ein anderer einen in den Dreck getreten hat.

Das verlangt auf jeden Fall nach Auseinandersetzung. Nur nach welcher? Für einen Augenblick entlastet es, wenn man sich vorstellt, was man dem Täter alles antun könnte. Diese Phantasie kann man sich ruhig gönnen: Man ist ja wirklich verletzt. Wer sich der Vorstellung überlässt, stark und wehrhaft zu sein, spürt sich selber intensiv und achtet das eigene Lebensrecht, die eigene Würde.

Aber wer von dem Wunsch nach Rache nicht loskommt, begibt sich auf die gleiche Ebene wie der Täter. Will man tatsächlich genauso widerlich sein? Das ist eine Überlegung wert. Und: Wer unablässig über Revanche brütet, macht sich abhängig vom Täter. Man kommt nicht mehr los von dieser "Beziehung", wird unfrei: Das wäre der größte Sieg dessen, der einen gedemütigt hat ­ man bleibt im Staub liegen, statt sich zu erheben.

In der Kultserie "Don Camillo und Peppone" ist es Jesus, der regelmäßig vom Kreuz herab den wutschnaubenden Priester mit mild ironischen Worten von einer neuen Attacke gegen den Bürgermeister abzubringen sucht. Gelingt es, sieht Don Camillo sichtlich besser aus, als wenn er wüst losgeprügelt hat: Rache verzerrt die Mimik und macht hässlich.

Wer trotz aller bitteren Verletzungen bei einer Trennung nicht mit Schmutz wirft, sondern den oder die "Ex" mit einem Mindestmaß an Respekt ziehen lässt, wird den Gewinn auf jedem neuen Meter Lebensweg spüren. Rache hinterlässt Trümmerfelder ­ auch in Seele und Gedanken. Der Verzicht darauf macht stark und schafft Raum für neue Begegnungen und Beziehungen.

Immer wieder berufen sich Menschen ­ zu Unrecht ­ auf das Alte Testament, wenn sie "Auge um Auge, Zahn um Zahn" rufen. Aber diese Formel löste vor Urzeiten die Blutrache ab, die Vergehen in maßloser Weise ahndete und immer weitere Opfer forderte. Sie verlangt dagegen einen verhältnismäßigen Schadensersatz. Der Begriff "Ersatz" macht das Prinzip Rache unmöglich, stärkt individuelle Verantwortung und die Fähigkeit, Schuld wahrzunehmen und zu übernehmen.

In der Bergpredigt übrigens fordert Jesus, dass Geschädigte sogar auf Wiedergutmachung verzichten und "die andere Backe hinhalten" sollen. Auch das wird gerne falsch verstanden ­ als hilflos-idealistische Demutsgebärde. Aber Jesu Worte sind geistreiche Provokation. Sie zwingt zu überlegen, wie man gegen alltägliche Gewalt so überraschend, kontrastierend und "entwaffnend" protestieren kann, dass ihre Verfechter aufgeben. Das ist jeden Versuch wert.

Das meinen Leserinnen und Leser

Rachegelüste, in der Phantasie ausgelebt, sind süß, umgesetzt, hinterlassen sie einen bitteren Nachgeschmack ­ auch mir. Erwehren wir uns aufrichtig und offen jener, die uns Schaden zufügen. Rache bleibt die Waffe der Schwachen. Die, die mir Schaden zufügten, sie liefen anderswo sich selbst oder anderen vor die Flinte.

Dietrich Nestler, 44 Jahre,

Neuwartensleben

Rechte Backe, linke Backe? Als Christ stellt man fest: Ich kann's nicht. Ich bin von einer Frau fortwährend schwer verletzt worden. Dann hatte sie einen Herzinfarkt. Da habe ich auf subtile Weise meine Rache vollzogen, indem ich ihr ­ verziehen habe. Auf dem Monitor, der die Herzfrequenz anzeigt, begleiteten wilde Reaktionen meine scheinbar so gute, tatsächlich aber rachsüchtige "Verzeihung". Glücklicher hat mich das nicht gemacht.

Ursula Trappe, 78 Jahre, Mülheim/Ruhr

Ich hatte früher eine geradezu kindische Freude, mich zu rächen. Inzwischen bin ich jedoch, gewissermaßen alttestamentarisch, davon überzeugt, dass jeder schließlich das bekommt, was er verdient, und dass es mir nicht zusteht zu strafen. Ich suche zwar, Dinge zu klären. Doch im Nachhinein auf Rache zu sinnen, das hieße, einen Teufelskreis zu schaffen.

Lavinia Brancaccio,

25 Jahre, Passau

Ich war 16 Jahre alt, da stahl mir ein blonder Jüngling meinen ersten Kuss. In süßer Verwirrtheit ergriff ich die Flucht. Als ich später die Gelegenheit fand, ihn wiederzusehen, zerschlug ich dem Ahnungslosen ein rohes Ei auf dem Kopf. Dieser Racheakt war der einzige meines Lebens. Man muss wissen, dass man zur Rache fähig ist, um sie dann aus Stärke zu vermeiden.

Esther Schaller, 53 Jahre,

Starnberg

Manchmal sind die Verletzungen so groß, dass man sich rächen sollte, um die Erfahrung zu machen, dass die Rache fast nie das Ergebnis erzielt, das man sich wünscht: Auslöschung des Schmerzes, Verschwinden der in die Welt gesetzten Gerüchte. Rache hat sprachlich eine beziehungsreiche Nähe zu dem Wort "Wrack", also zur Zertrümmerung. Es möchte wohl sein, dass ein Mensch, der andere zertrümmern will, sich selbst der Zertrümmerung aussetzt.

Jürgen Schwarz, 63 Jahre,

Müllheim/Baden

Als meine Mutter ihrem Leiden erlag, hinterließ sie ein Testament. Darin wird meine Schwester enterbt. Eine Entscheidung, die meiner Mutter sicherlich schwer zu schaffen gemacht hat. Meine Schwester lässt seitdem nichts unversucht, uns das Leben schwer zu machen. Als Enterbte hat sie Anspruch auf das Pflichtteil, was eine Informationspflicht der Erben beinhaltet. Und da soll man nun keine unchristlichen Gedanken aufkommen lassen? Wir Menschen neigen dazu, Rache mit Gerechtigkeit zu verwechseln.

Norbert K., 35 Jahre,

Hüfingen

Sinnvoller ist ein Selbstschutz, die Schadensminimierung und ein Versuch, ähnliche Vorfälle in Zukunft zu verhindern. Manchmal hilft eine Aussprache mit dem Schädigenden. Manchmal ist gemeinsame Gegenwehr mit anderen Geschädigten oder mit Personen aus dem eigenen sozialen Umfeld hilfreich.

Uwe Schnabel, 34 Jahre,

Coswig

Im Vertrauen

Jeden Monat laden wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein, uns Ihre Erfahrungen zu einem vorgegebenen Thema mitzuteilen. Schildern Sie Erlebnisse und Begegnungen, lassen Sie uns an Ihren Beobachtungen teilhaben!

Das Thema im Dezember: Muss ich an Weihnachten meine Verwandten einladen? Weihnachten ist auch das Fest der Familie. Aber ist der familiäre Zusammenhalt an Weihnachten wirklich so wichtig? Oder können wir uns auch die Freiheit nehmen, statt im Familienkreis zu feiern, eine Reise zu buchen oder einen Fernsehabend einzulegen?

Zu diesem Thema schreiben Sie uns bitte, mit Angabe Ihres Alters und Wohnorts, bis zum 31. Oktober

chrismon

Stichwort: Im Vertrauen Postfach 203230, 20222 Hamburg E-Mail: im-vertrauen@chrismon.de

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