Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Costa Rica von Anfang Februar, aus denen ein religiöser Fanatiker als Stimmenkönig hervorging, lässt derzeit niemanden kalt. "Eine arrangierte Ehe zwischen konservativen Katholiken und Evangelikalen" nennt es das liberale Wochenmagazin Seminario Universidad, die Internetzeitung El Mundo sieht das Land "am Rande des Chaos", BBC International spricht von einem "religiösen Schock". Nicht die brennenden Themen Korruption, Verbrechensbekämpfung oder Arbeitslosigkeit beherrschen den aktuellen Wahlkampf. Nein, das Thema Familie und vor allem der Umgang mit sexueller Diversität katapultierten den evangelikalen Prediger und Sänger Fabricio Alvarado mit seiner Mini-Partei Restauration Nacional binnen weniger Wochen an die Spitze.
Umfragen zufolge ist er auch Favorit in der Stichwahl in Costa Rica am kommenden Ostersonntag. Weniger Chancen werden seinem Konkurrenten mit dem gleichen Nachnamen eingeräumt: Carlos Alvarado von der PAC (Partido de Accion Ciudadana), eine Gruppierung gemäßigt sozialdemokratischen Zuschnitts, die überraschend die letzten Wahlen gewonnen hatte. "Dass Männer einander heiraten, kann ich nicht akzeptieren", empört sich die etwa Katholikin Sonia-Maria Rojas, 53, Krankengymnastin aus Pavas, einem Mittelklasse-Stadtviertel von San José. "Die Ehe ist Mann und Frau vorbehalten." Das findet auch Raul Segura, 42, Musiklehrer an einer renommierten Privatschule, wenngleich das Thema für ihn nicht wahlentscheidend ist. "Schlimmer als mit dieser Regierung, die betrogen hat, was das Zeug hält, kann es mit Fabricio auch nicht werden." Beide haben in der ersten Runde nicht für einen Alvarado gestimmt. Nun müssen sie sich entscheiden.
Bettina Lutterbeck
Dass diesmal viele Parteien um die Gunst der Wähler buhlen, ist ebenso neu wie das Aufflackern eines ultrakonservativen biblischen Familienbilds vor allem in den strukturschwachen, entlegenen Provinzen. Der militante Fundamentalismus befremdet, zumal Costa Rica lange Zeit ökonomisch und politisch als die Schweiz Mittelamerikas galt: vergleichsweise wohlhabend, stabil, eigen aber weltoffen. Ein Rückblick: Vor einem halben Jahr kochten die Massenmedien, die sich fest in der Hand der etablierten Machtgruppen befinden, einen Korruptionsskandal im Bausektor hoch, mit dem die amtierende PAC-Regierung diskreditiert werden sollte. Der Bauskandal weitete sich aus, der Schuss ging offensichtlich nach hinten los und führte letztendlich zur völligen Verunsicherung der Wählerschaft. Am Ende war der Ruf von mehr als einem Dutzend Politiker aller traditionellen Parteien schwer beschädigt. Fast der komplette Vorstand der staatseigenen Bank Banco de Costa Rica landete wegen ungerechtfertigter Kreditvergabe und Korruption im Gefängnis. Hochrangige Justizangestellte wurden vom Dienst suspendiert und befinden sich derzeit in einem Amtsenthebungsverfahren.
Diskussion über Homo-Ehe
Dem politischen Beben setzte die katholische Kirche, der fast 70 Prozent der Bevölkerung angehören, im Wahlkampf noch eins drauf. Im Dezember, rund sechs Wochen vor den Präsidentschaftswahlen, rief sie zu einem "Marsch für das Leben und die Familie" auf - gegen die "Gender-Ideologie". Zigtausende Schäfchen schlossen sich diesem Marsch an, darunter sieben Präsidentschaftskandidaten. Die Bischöfe setzten damit ihr streng konservatives Rollenbild in Szene und propagierten ihre strikte Ablehnung von Verhütungsmitteln, Abtreibung und Aufklärungsunterricht an Schulen. Einen Monat später, am 9. Januar, wühlte eine Entscheidung des interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs die Öffentlichkeit auf, eine Behörde der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS): Alle Mitgliedsländer sollten dafür sorgen, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften denen von Mann und Frau gleichgestellt werden. Costa Rica ist also aufgefordert, die "Ehe für alle" uneingeschränkt umzusetzen.Fabricio Alvarado wetterte prompt dagegen: Im Zweifelsfall müsse Costa Rica austreten. Und sein Stellvertreter Francisco Prendas kündigte an, im Falle des Wahlsieges das Verbot zu kippen, Schwule und Lesben im öffentlichen Dienst zu diskriminieren.
Für die lutherische Kirche Costa Ricas, ILCO, die sich seit Jahren für Toleranz und den Respekt der Diversität engagiert, und regelmäßig Gottesdienste für ausgegrenzte Minderheiten feiert, ist der aggressiv geführte Wahlkampf kontraproduktiv für den sozialen Frieden. Die diakonisch engagierte Kirche wehrt sich dagegen, dass derzeit in Costa Rica evangelisch mit Zorn, Rache, Fanatismus und der Ablehnung der Aufklärung assoziiert wird. Der Streit um Gender geht durch Familien, durch die ganze Gesellschaft. Wie er entschieden wird? Man darf gespannt sein.