Neun Stunden durch das ägäische Meer schwimmen und ertrinken, das war sein Alptraum. Aber jetzt ist die Angst weg, und Adham fühlt sich, als hätte er eine schwere Geburt hinter sich gebracht.
Adham Alshraa, 28, kam vor etwa zwei Jahren in Deutschland an. Der junge Tierarzt war aus der syrischen Stadt Daraa vor dem Krieg geflohen, nachdem er viele Verwandte und Freunde verloren hatte und sein Haus zerstört worden war. Von allem, was er während seiner Flucht erlebte, waren die Stunden, in denen er sich im ägäischen Meer über Wasser halten musste, die schlimmsten. Damals glaubte er: Das ist das Ende. In deutschen Aufnahmelagern wartete er dann mehr als ein Jahr auf seine
Aufenthaltsgenehmigung.
Während Adham mit dem Zug zur Arbeit ins Milchlabor nach Potsdam fährt, sind seine Augen auf den Horizont gerichtet. Er denkt an einen seiner Lehrer an der syrischen Universität Hama. Der Professor hatte in Deutschland Keimdiagnose studiert. Adham kommt es so vor, als müsse sich die Geschichte immer wiederholen.
Adham arbeitet hart an seinem Deutsch. Diese Sprache erscheint ihm wesentlich komplizierter als die Keime in seinen Milchproben. Sie ist aber nun einmal der Schlüssel für sein berufliches Fortkommen. Adham will sich in der Mikrobiologie spezialisieren. Er will frühere Studien aus Syrien in Deutschland fortführen, sobald er etwas mehr Laborerfahrung vorweisen kann. „Wenn ich nach dem Krieg in mein Land heimkehre, werde ich viel Erfahrung für den Wiederaufbau und die weitere Entwicklung einbringen können“, sagt er.
Das Leben im Asylbewerberheim war öde und langsam. Sogar noch langsamer als die deutschen Ämter. „Die Sprache im Heim zu lernen ist schwer“, sagt Adham über die Monate dort. „Nur in der Schule kannst du Deutsch sprechen. Direkter Kontakt zu Deutschen ist selten.“ Natürlich gebe es schüchterne Versuche, die deutschen Helfer anzusprechen, die viel Zeit mit den Flüchtlingen in den Lagern verbringen. Aber das reiche nicht.
„Nun verdiene ich meinen Lebensunterhalt im Schweiße meines Angesichts. Und ich zahle Steuern. Ich spüre, dass ich Teil der Gesellschaft bin“, sagt Adham. Und er fügt hinzu, dass er seine Frau vermisst, die er nicht nach Deutschland mitbringen konnte. Er will schneller lernen, seine Arbeit noch schneller erledigen und sein Einkommen so aufbessern, dass er alle Kosten damit decken kann.
Heute, fünf Monate nach dem Start im Milchlabor, lebt er zusammen mit deutschen Freunden. Inzwischen fühlt sich Adham Berlin näher. Der Unterschied zu seinem Leben im Heim ist gewaltig. Sein Deutsch hat sich deutlich verbessert. Nur Schüchternheit hält ihn davon ab, flüssig zu sprechen. Er hört lieber zu, wenn sich andere unterhalten. „Zum Glück erkenne ich die Keime an ihrer Form. Ich muss nicht mit ihnen reden. Sonst hätte ich ein echtes Problem.“