Früher ein Laden, jetzt eine Kirche.  "Feyertag" in Köln-Mülheim
Früher ein Laden, jetzt eine Kirche. "Feyertag" in Köln-Mülheim
Beymeister
Patati und Patata
Tim Wegner
02.10.2017

Die Beymeister, Köln, 18.15 Uhr. Spätsommersonntag in Köln-Mülheim. Seit die Industrie aus- und das Theater eingezogen ist, seit das E-Werk Rockgrößen empfängt und die Stuntschule flotte Fassadenkletterer ausbildet, wird das Viertel cool. Man sitzt auf Flohmarkt­sesseln in der Sonne, hält sich an einem Milchkaffee fest, und – echt jetzt: Man geht sonntagabends zum Gottesdienst. Zum „Feyertag“ laden die „Beymeister" – ein altes Wort für Handwerker – in ein Ladenlokal, auf dem noch die Schrift Änderungsatelier klebt. Das Ganze ist Teil einer „richtigen“ evangelischen Kirchen­gemeinde. Pfarrer Sebastian Baer-Henney hat das Seelsorgekonzept „Fresh Expressions“ vom Auslands­vikariat in London mitgebracht.

Wir sitzen auf Sofas, statt einer Orgel röhrt die Berliner Songwriterin Dota aus der Bluetoothbox, es gibt veganen Eintopf, alkoholfreies Kölsch und Kaffee. 30 junge Leute, mit Beanies und bunten Leggings, WG-Atmos­phäre. Thema heute ist „Heimat“, „Patati und Patata“, singt Dota, „mit dem Fens­ter zum Himmel und der Türe zur Welt“. 

Eine junge Frau hat Landschaftsfotos aus dem Netz ausgedruckt, wir sollen uns eins nehmen und gucken, wie das auf uns wirkt. Ist ja wie Reliunterricht, raunt es beim Neben­sitzer, aber bevor der Feyertag zur Selbsterfahrungsgruppe mutiert, nimmt schon die nächste das Wort, liest Heimat­definitionen vor, vom Historiker Heinz Schilling über Psalm 91 bis zum Sozio­logen Harald Welzer. 

Und dann die Predigt: Der Pfarrer – das ist der mit dem Glaube-Liebe-Hoffnung-Tattoo am rechten Arm – spricht über die Heimatlosigkeit vom Volk Israel und die Geborgenheit bei Gott. Notizen hat er auf dem Handy, aber er spricht frei, laut, klug. Der ganze Feyertag ist vor allem: unaufdringlich. „Ich würde dann jetzt mal für uns beten“, sagt eine. Und: „Singt nur mit, wenn ihr das wirkich wollt.“ Das ist ein bisschen sehr therapeutisch, singen ist ja keine Menschenrechtsverletzung. Aber die Absicht kommt an: Du musst dir in dieser evangelischen Änderungsschneiderei nichts überziehen, was dir nicht passt. Hauptsache, es fühlt sich warm an. 

Eine schöne Stunde war das, war  auch nicht peinlich, von außen gesehen zu werden. „Mit der Türe zur Welt" und mit der Türe zum Veedel: Alle hier ­können was machen, mit den Leuten vom Schauspiel, mit den Bands aus dem­ ­Veedel, Lieblingsbücher vorlesen oder Flohmarkt oder Musik. Zum Schluss ein Vaterunser. Dann noch ein bisschen rumstehen, Limo trinken. Und ab nach Hause, Tatort gucken.

Kontakt

Die Beymeister, Wallstraße 66, 51063 Köln

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