Incheon ist so etwas wie Südkoreas Eingangstor. Die Hafenstadt westlich von Seoul hat den größten Flughafen des Landes, und Impulse aus dem Ausland kommen hier oft als Erstes an. Zum Beispiel die Wiederentdeckung alter Architektur.
Ich besuchte Incheon mit einer Seminargruppe, wir schauten uns eine Gegend an, in der alte Wohnhäuser und Fabrikgebäude renoviert und zu Theatern, Kunstgalerien oder Cafés umgenutzt wurden. In Deutschland nichts Besonderes – hierzulande völlig neu. In Korea gilt überwiegend: abreißen und neu bauen. Moderne Häuser werden in der Regel aus billigstem Beton gebaut und für etwa 50 bis 60 Jahre Lebensdauer geplant. Danach müssen sie sowieso weichen, zumindest in den Städten. Diese wachsen ständig, und die Bauindustrie profitiert davon. Die Grundstücke, besonders in und um Seoul, sind unglaublich teuer. Da müssen dann Hochhäuser drauf, um das Geld wieder reinzubringen.
"Höher, schneller, weiter"
Das Alte ist nichts wert – diese Denkweise ist dem enormen wirtschaftlichen Aufschwung geschuldet, dem ständigen "höher, schneller, weiter", das die südkoreanische Gesellschaft seit den 1970er und 80er Jahren prägt. Dass es mal anders war, zeigen die traditionellen koreanischen Wohnhäuser, die sogenannten Hanoks. Diese ein- oder zweistöckigen Gebäude sind massiv und zugleich luftig gebaut, aus natürlichen Materialien wie Lehm, Holz oder Naturstein. Sie können mehrere Hundert Jahre überdauern.
In Incheon sprach ich mit dem Besitzer eines hanokähnlichen Hauses aus der japanischen Kolonialzeit (1910–1945). Er hatte lange überlegt, sagte er, und sich dann entschieden, das Haus zu renovieren, obwohl Abriss und Neubau nicht teurer gewesen wären: "Der Gedanke gefiel mir, etwas von früheren Generationen zu übernehmen und auch den Nachfolgenden etwas zu hinterlassen." Ein fast revolutionärer Gedanke – der sich vielleicht wieder durchsetzt. Auch in anderen Städten gibt es mittlerweile neue alte Straßenzüge.