Kirche für alle!
Die Ehe ist und bleibt eine Konstruktion zweier liebender Menschen
Lena Uphoff
26.07.2017

Nie zu viel! Wir reden nicht mehr als nötig. Alles ist möglich. Punkt. „Ehe für alle!“ Klar. Wirklich? Um es kurz und knapp zu halten: Beziehungen sind gleichwertig, ob zwischen Mann und Mann, Frau und Mann oder Frau und Frau. Aber: Müssen die denn alle „Ehe“ heißen?

„Ehe“ ist doch ein kulturelles Gut, und zwar ein christlich geprägtes. Es hat mit Liebe, Vermehrung und gegenseitiger Verantwortung einen Kern, der durch die neue Zulassung „für alle“ ausgehöhlt wird! Tatsächlich?

Wer bin ich denn? Was ist meine Welt? Mit wem lebe und wen liebe ich? Ständig muss ich entscheiden, welche Kultur und welche Ordnung für mich gelten. Bin ich progressiv oder konservativ, chaotisch oder altmodisch? Ich muss es doch wissen! 

„Die bürgerliche Ehe ist dazu aus­ersehen, einen ,Hafen‘ stabiler Identität und Bedeutung in einer sozialen Situation zu gewährleisten, in der ­diese Mangelwaren sind.“ So um­rissen die Soziologen Peter und Brigitte Berger schon vor mehr als vierzig Jahren den Wert der Lebensform. An Peter Berger musste ich fortwährend denken, als nur wenige Tage nach seinem Tod im Bundestag über die „Ehe für alle“ debattiert wurde.

Die festen Milieus und Ordnungen, die es „schon immer“ gab, hat Berger in Zweifel gezogen. Das „Private“, so stellte Berger fest, ist eine „Konstruktion der Wirklichkeit“. „Hier...sucht der einzelne Kraft, ... eine Welt zu gestalten, ... die sein eigenes Dasein reflektiert, in der er jemand ist.“  

Wie alt ist denn die bürgerliche „Ehe“, die jetzt „für alle“ die legitime Form des Zusammenlebens sein soll? Wie alt ist die „Welt“ zweier gleichwertiger und gleichberechtigter ­Menschen? Die nun allseits geschätzte Rechtsform hätte noch vor hundert Jahren außer ein paar Frauenrechtlerinnen niemand verstanden. Ge­rade mal vierzig Jahre ist es her, dass eine Frau ohne Zustimmung ihres Ehemannes einen Arbeitsvertrag abschließen kann und dass der Name des Mannes nicht automatisch gemeinsamer Familienname wird.

Die hochgeschätzte Rechtsform der Zweisamkeit ist relativ jung

Die Ehe war in der längsten Zeit ihrer christlichen Geschichte kein Ergebnis romantischer Liebe. Wer wen heiratete, bestimmte Familie oder ­Sippe. Im Recht der Hansestadt Lübeck konnte sofort enterbt werden, wer sich weigerte, den vom Familienoberhaupt ausgewählten Partner zu ehelichen. Wer argumentierte, er/sie liebe einen anderen, erntete Achsel­zucken und ein knappes „Na und?“.

Individuell suchen, finden, auspro­bieren – das bleiben die zentralen Herausforderungen der gegenwär­ti­gen Kultur auch für das persönliche Leben. Schon 1976 hatten die Bergers (Brigitte starb 2015) in ihrem Buch „Wir und die Gesellschaft“ festgestellt, dass es gerade Ehescheidungen sind, die den Wert der individuellen Partnerschaft beschreiben: „Menschen lassen sich meistens nicht ­scheiden, weil sie genug von der Ehe als Institution haben, sondern weil ein bestimmter Partner einer bestimmten Ehe nicht den Erwartungen entsprochen hat.“ Also: Noch einmal mit jemand an­derem versuchen, ein Leben in trauter Zweisamkeit zu führen.

Diese Sehnsucht nach Gemeinschaft muss gerade für Christen die zentrale Herausforderung sein. „Jeder für sich und Gott gegen alle“, wie der Regisseur Werner Herzog seinen ­Kaspar-Hauser-Film getitelt hatte,
kann nicht Lösung und Losung sein. Deshalb freue ich mich sehr, dass auch in römisch-katholischen Kirchen wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion gehen können, auch wenn es geltendem Kirchenrecht ­widerspricht. Gnade vor Recht! So ähnlich hat sich Papst Franziskus dazu geäußert. Das lässt hoffen. Vielleicht heißt die nächste Schlagzeile, ob evangelisch oder katholisch: „Kirche für alle!“

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Whow, das nenn ich eine dreiste Argumentation: Sie unterschlagen, dass Peter und Brigitte Berger schon in den 80ern den "Krieg gegen die Familie", dessen finale Schlacht wir grade erleben, soziologisch analysiert und vorausgesehen haben. Und ein eindeutiges Plädoyer für die bürgerliche Ehe und Familie aus soziologischer Sicht dagegen hielten.
Selbst bei nur grundlegender soziologischer Bildung ist offensichtlich, dass das wirkliche Ziel dieser Schlacht gegen Familien die Vernichtung der "patriarchalischen" Institution Ehe und die Verstaatlichung der Privatsphäre ist. Nicht die verdiente und wünschenswerte Möglichkeit für homosexuell Liebende sich als Eheppare gesellschaftlich verorten zu können.
Offenkundig in der von der Heinrich-Böll-Stiftung grade online gestellten Blacklist aller Personen und Institutionen, die Ehe und Familie für eine gute und unterstützenswerte Sache nach Vorgabe des Grundgesetzes halten - vermengt mit Neo-Nazis und Fanatikern- und durch diesen Kontext als Familisten praktisch kriminalisiert.
Die EKD hatte durch das Anti-"Familienpapier" die Schützengräben ausgehoben und "Ehe" völlig ent-theologisiert, worauf unter anderem der international renommierte Sozialethiker Prof.Ulrich Körtner in seiner Beurteilung hinwies. Es herrscht tiefes kirchenleitendes Schweigen zum Gebot "Du sollst nicht ehebrechen" und der neu-testamtentlichen Aufwertung der Ehe als Bund, der seinen Wert durch Ähnlichkeit zu der Beziehung zwischen Christus und seiner Gemeinde hat. Karl Barth hatte das für die Moderne theologisch fruchtbar gemacht. Mit "romantischer" Liebe hat das nichts zu tun, diese Einordnung ist völlig a-historisch-unkritisch.
Die herrlich bunte, avantgardistische und erfrischend anarchistische Schwulen-und-Lesbenszene staunt meines Wissens, dass ihr ein so reaktionäres Institut wie Ehe aufgedrückt werden soll. Ist ja auch nur das Feigenblatt: Ziel ist "Ehe für Keinen. Und soweit evangelische Kirche das unterstützt wird sie dann "Kirche für Keinen". RIP

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Mehrfach behauptet Herr Brummer dass die Ehe ein christlich geprägtes Gut ist. Wie kommt er denn darauf?
Die große Mehrheit der Menschheit gehört ja nicht mal zum Christentum und trotzdem wird überall mehr oder weniger freudig geheiratet.

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In Ihrem Artikel stellen Sie die Frage, ob (prinzipiell gleichwertige) gleichgeschlechtliche Beziehungen „Ehe“ heißen müssen. Wie Ihre Antwort darauf lautet, ist für mich aus dem Artikel nicht eindeutig hervorgegangen. Aber meine persönliche Antwort darauf lautet: Ja! Und zwar, weil es (siehe Zitat Peter Berger) um den „Hafen stabiler Identität und Bedeutung in einer sozialen Situation“ geht, in der gesellschaftliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare zumindest lange Zeit Mangelware war – gefühlt auch immer noch sein kann. Ein Beispiel: ein „verpartnerter“ Arbeitssuchender muss sich sofort outen, wenn sein künftiger Arbeitgeber ihm ein Formular: ledig/verheiratet/sonstiges vorlegt – das muss zwar nicht, kann aber eine schwerwiegende Benachteiligung sein. Persönlich habe ich mich vor Kurzem „verpartnert“ (das wird im Oktober in eine Ehe umgewandelt) - und bin, als ich meinen Kollegen erzählte, dass wir heiraten, gefragt worden:„ja, dürft ihr das denn überhaupt?“. Begriffe lassen uns etwas begreifen – es ist nicht egal, wie etwas genannt wird, selbst wenn es rechtlich noch so gleichwertig behandelt werden sollte. Es ist mir auch nicht egal, wenn mir seitens der evangelischen Kirche (in meinem Fall: in Hessen und Nassau) eine Segnung angeboten wird, aber keine Trauung. Diese ist 2013 in allem der Trauung gleichgestellt worden – nur nicht in der Benennung. Ich vermute, dass dies ein mutiger Schritt war, wenngleich es mir gleichzeitig der Weg des möglichst geringen Widerstandes gegenüber anderen christlichen Kirchen und anders Gesonnenen in der eigenen Kirche zu sein scheint. Trotzdem bekümmert mich diese Unterscheidung sehr:„Segnung“, das fühlt sich nach „Trauung light“ an. Und obwohl ich interessiertes Kirchenmitglied bin, ist für mich klar: solange es nicht Trauung heißt, werden meine Frau und ich auf dieses Sakrament leider verzichten. Es würde mich freuen, wenn die gesellschaftliche und politische Anerkennung der Ehe auch zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern ein Umdenken in der evangelischen Kirche zur Folge hätte – und wir mutig Ehe nennen, was Ehe ist, und Trauung, was Trauung ist.

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Man kann dem Artikel von Herrn Brummer nur zustimmen. Darüberhinaus: das "klassische" Verständnis einer Ehe besteht doch auch darin, dass dem Menschen ein natürlicher Fortpflanzungsdrang innewohnt mit dem Ziel der Verwirklichung. Fortpflanzung ist bei anderen Formen der Paarung gar nicht möglich, also trifft der Begriff Ehe hier nicht zu. Da kommt dann der Einwand, man adoptiere ja Kinder. Und woher kommen die - aus der anderen Art der "Ehe" ??? Nichts gegen das ungehinderte Zusammenleben Gleichgeschlechtlicher. Aber Ehe ist doch etwas anderes. Und hier sollte doch unterschieden werden. Aber um aus wahltaktischen Gründen die Lesben und Schwulen "ins Boot zu holen" ist selbst den"Christsozialen" kein Mittel zu schade. Traurig und schändlich!