Wenn Barack Obama um halb elf am Brandenburger Tor spricht, dann sind frühmorgens schon alle Wege verstopft und überfüllt - so denkt man. Und dann läuft man um neun Uhr am Tiergarten entlang, und die Welt liegt in tiefem Frieden. Ein paar Jogger, Radfahrer, Spaziergänger, alles wie immer.
Bis zum Stichweg quer durch den Park. Polizeisperre, Taschenkontrolle. Dahinter ein nicht enden wollender Strom von Menschen. Wo kommen die alle her?
Und sie sind bestimmt nicht die ersten. Schließlich tritt man auf die Straße des 17. Juni, wo längst Tausende stehen und warten. Aber Berlin ist groß, noch ist sehr viel Asphalt zu sehen. Die Menge verteilt sich. Und es sind ja anderthalb Stunden Zeit, bis der Ex-Präsident kommt.
Im Vorprogramm: Die Dialogpredigt von der Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au und dem Berliner Kultursenator Klaus Lederer. Sehr interessant, aber leider für die wenigsten der Grund, hier zu sein. Wer jetzt vorne steht, muss sein Handy sehr hoch und nach hinten halten und dann ein Foto machen. Nur so bekommt man einen Eindruck davon, wie sehr die Menge inzwischen angewachsen ist. Die halbe Entfernung bis zur Siegessäule vielleicht, oder weiter?
SPD sauer über Wahlkampfhilfe für Merkel
Vorne im Sitzbereich hat sich viel Kirchenprominenz versammelt. Die früheren Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber und Nikolaus Schneider, Bischöfe und Bischöfinnen, der EKD-Kirchenamtspräsident, der Militärbischof, der Erzbischof von Canterbury. Friede Springer ist da, Samuel Koch auch. Und ein bisschen Politprominenz: einige von der CDU (Christian Wulff, Peter Tauber und Gerd Müller, der wenig bekannte Entwicklungshilfe-Minister), und Kerstin Griese von der SPD.
Die Bundeskanzlerin redet mit Barack Obama auf dem Kirchentag über das Thema "Engagiert Demokratie gestalten". Schon der Titel suggeriert ja nur Bestes für die Diskutanten. Die SPD-Fraktion sei sauer über die Wahlkampfhilfe für Merkel, so ist aus sicherer Quelle zu erfahren. Sie will anonym bleiben. - Aber den Ärger der Genossen konnten wir uns auch so denken.
Merkel zieht die Linie von Christopher Kolumbus über Martin Luther bis heute
Dass Obamas Auftritt näher rückt, dafür häufen sich die Anzeichen: Scharfschützen auf der US-Botschaft und dem Liebermann-Haus rechts und links vom Brandenburger Tor; ein Hubschrauber, der immer engere Kreise zieht.
Und dann kommt er. Ach ja, sie auch, die Kanzlerin. Es wird gejubelt, Obama winkt und lacht. Und es wird weiter gejubelt, wann immer sein Name fällt.
In Teil eins des Gesprächs, moderiert vom EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm und von Christina Aus der Au, darf die Kanzlerin als Erste etwas sagen. Sie zieht eine Linie von Christopher Kolumbus und Martin Luther bis heute und sagt, die deutsch-amerikanischen Beziehungen seien seit der Reformation immer gut gewesen. Die Frau hat Humor, man lacht.
Stille, wenn Obama spricht, Applaus, wenn Obama gesprochen hat
Obama jubelt man zu, weil er Berlin liebt; weil er so viele junge Leute vor sich sieht; weil er junge Menschen mit seiner neuen Stiftung fördern will, damit sie eines Tages politische Verantwortung übernehmen; weil die künftigen Politiker Menschen zusammen bringen und sie nicht spalten sollen; und weil er sich jetzt um seine Familie kümmern will. Obama kriegt eigentlich Applaus für alles. Er ist stolz auf seine Arbeit als Präsident (Applaus). Die Krankenversicherung Obamacare erreiche zwar nicht alle Amerikaner, aber doch 20 Millionen mehr als zuvor (Applaus). Er hofft, dass die Welt besser wird (Applaus).
Und so geht es weiter. Zwischen dem Jubel ist Stille. Man hört nur Obama reden. Und das bei dieser riesigen Menschenmenge.
Tote Flüchtlinge, Education Gap, Drohnenkrieg - dazu nichts Neues von den Politikern
Im zweiten Teil kommen vier Jugendliche aus einem Austauschprogramm der Konkordien Gemeinde Mannheim und der Trinity United Church aus Chicago zu Wort. Die Trinity United Church liegt in der South Side der US-Stadt, wo Obamas Karriere als junger engagierter Anwalt begann. Die vier jungen Menschen wollen von Merkel und Obama wissen, wie man jetzt das Sterben der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer beendet, wie man den Education Gap überwindet - das Versagen der Schulkarrieren bei Kindern aus unteren sozialen Schichten -, wie man den Drohnenkrieg mit den vielen zivilen Opfern enden könne, wie sich Kunst und politischer Aktivismus vertragen.
Und die Politiker antworten geschickt. Neues erfährt man nicht. Aber wie Obama die angesprochenen Probleme auf den Punkt bringt, ist schon bewundernswert. Zu den zivilen Opfern des Drohnenkrieges - die Frage sei doch: wenn wir mit derselben Geringschätzung für individuelle menschliche Schicksale kämpfen wie unsere Gegner, dann haben wir etwas von uns selbst verloren. Deshalb sei im Kampf gegen die Militanten, die jederzeit uns in die Luft zu sprengen bereit seien, auch hier auf dem Pariser Platz, auf die richtige Wahl der Mittel zu achten, auch beim Einsatz von Drohnen. Das Problem sei aber nicht die Existenz der Drohnen, sondern der Krieg.
Zum Schluss singt Obama noch ein Loblied auf die Jugend und appelliert an ihre Verantwortung, die Dinge zum Besseren zu wenden. "Wenn du zynisch bist und sagst: 'Politiker sind sowieso korrupt, das System ist sowieso korrupt', dann können die Dinge nicht besser werden. Aber das liegt dann eben auch an dir."
Der Mann ist wirklich gut.