Der Kirchentag begann schon vor dem Eröffnungsgottesdienst - am Platz der Luftbrücke. Vorm Eingang zum "Zentralflughafen Tegel" stand ein langes, schwarzes Podest. Kirchentagsbesucher bauten sich im Kreis drum herum auf. Am einen Kopfende des Podestes sang das Berliner Vokalensemble Sirventes die Trauermotette des Dresdner Kreuzkantors Rudolf Mauersberger "Wie liegt die Stadt so wüst", komponiert unter dem Eindruck des zerstörten Dresdens 1945. Es war beklemmend schön. Manchmal strich der Wind über die Mikros. Das klang dann wie das Grollen einer Bomberstaffel.
Stimmen aus dem KZ, Brechts Flüchtlingsgespräche und Gesänge Hiobs
Es war ein ernster Kirchentagsbeginn, etwa 40 Stunden nach dem Attentat in Manchester. Zwischen den Sätzen der Motette rezitierten Berliner Laienschauspieler, eine zusammen gewürfelte Gruppe, Texte von Verfolgten und Gepeinigten: Stimmen aus dem KZ am Columbiadamm. Die Flüchtlingsgespräche von Bertold Brecht. Die Gesänge Hiobs nach der Vertonung von Georg Schumann von 1914. Immer wieder ergab sich der Brückenschlag von den Irrungen und Wirrungen der deutschen Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts ins verwirrende Jetzt.
Zum Beispiel durch Brechts Worte: "Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustand kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund. Aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist. Während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird."
In den Hangars des alten Tempelhofer Flughafens waren bis Anfang des Jahres Flüchtlinge untergebracht. Die Kirchentagseröffnung vor der Eröffnung des Kirchentags gab ein wichtiges Thema auf diesem Kirchentag vor: "Flucht". 68 Veranstaltungen weist die Programm-App allein zu diesem Stichwort aus. Das Publikum applaudierte freundlich, so gegen Viertel vor drei war das Stück vorbei. Irgendwie passte der Applaus nicht. Das Stück war zu ernst.
Absperrungen, Taschenkontrollen und kein Durchkommen
Mit den Gottesdiensten ab 18 Uhr sollte der Kirchentag richtig eröffnet werden: am Brandenburger Tor, auf dem Gendarmenmarkt, auf dem Platz der Republik hinterm Reichstag. Vor ganz großer Kulisse: zwischen Reichstag und Bundeskanzleramt, und zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule.
Wegen des Attentats in Manchester hatte die Polizei das Sicherheitskonzept für den Kirchentag noch einmal überarbeitet. Wer nun durch den Tiergarten zum Eröffnungsgottesdienst am Platz der Republik wollte, stieß früh auf Absperrungen. Der ganze Tiergarten war eingegattert. Es gab Taschenkontrollen. Und Absperrgitter zwischen den Veranstaltungsorten. Gelangt man einmal in die Fläche vorm Brandenburger Tor, steckt man dort fest. Kein Durchkommen zum anderen Eröffnungsgottesdienst hinterm Reichstag.
Also gut: Wir mussten wohl oder übel den Gottesdienst in einfacher Sprache mitnehmen. Und es war schlimmer als befürchtet. Ja, man soll einfach und verständlich sprechen - aber nicht unerträglich schlicht. Hier ein paar Stichproben: "Menschen sind schlecht. Panzer erinnern uns daran. Gott, das ist furchtbar." Und ein anderes Mal: "Gott, du gehst durch die Welt und rufst: Frieden, Frieden, Frieden." Und ein anderes Mal: "Ich sehe mich um. Da sind Wolken. Das sind Bäume mit vielen Blättern. Da sind Menschen, so viele Menschen." So viel Banalität eine Stunde lang, das ist fast schon eine Zumutung.
Gut, dass Kirchentagspräsident Andreas Barner den Kirchentag pünktlich um 19 Uhr für eröffnet erklärte. Der Gang über die Fressmeile am "Abend der Begegnung" konnte beginnen.
Kaum was los über weite Strecken
Das Straßenfest sollte auf einem großen Ring um das Brandenburger Tor gefeiert werden. Doch Berlin ist groß, sogar Berlin-Mitte ist riesig. So viele Fressbuden gibt es gar nicht in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg und Schlesische Oberlausitz. Über weite Strecken, etwa am Spree-Ufer, war kaum etwas los. Und wenn mal Buden da waren, drängte sich die Menge dazwischen, dass man nicht von der Stelle kam. Außerdem hielt die Polizei die Menschenmassen immer wieder mit Taschenkontrollen auf.
Außerdem war das kulturelle Angebot auf den zehn Innenstadtbühnen eher mager - meist weniger gute Gospelchöre und -sänger. Mit wenigen Ausnahmen: Auf der Bühne Ecke "Unter den Linden / Glinkestraße" spielte die Bigband des Evangelischen Gymnasiums Hermannswerder, Potsdam. Und zwar richtig unterhaltsam.
Geradezu genial war auch die Aufführung der Marching-Band "La Main", eine zusammen gesetzte Truppe mit Ensembles aus Kinschasa (Kongo), Melbourne (Australien) und Wuppertal (Deutschland). Sie spielten auf der Bühne von "Brot für die Welt" hinterm Reichstag, laute, rhythmische und selbstbewusst schiefe Bläserklänge. Ihr Stück über das Leben im Kongo, inszeniert mit surrealen Puppen, die eine Konfirmandengruppe aus Berlin-Weinberg hergestellt hatte, begeisterte das Publikum. Und ihre fetzige Musik riss die Leute mit.
Um 22.30 Uhr endet der erste Tag mit dem Abendsegen.