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Ein Wirbelwind hat diesem Bild den Schliff genommen: Erst als Hurrikan „Sandy“ die Fotografie von Hiroshi Sugimoto verwüstet hatte, betrachtete der Japaner „The Last Supper“ als vollbracht. Dabei hatte sein Abendmahl nach dem Vorbild Leonardo da Vincis bereits als fertiges Kunstwerk in Ausstellungen gehangen. Ein unversehrtes Foto, mehr als sieben Meter breit, aalglatt, vielleicht etwas zu perfekt. 2012 fegte Supersturm „Sandy“ durch Sugimotos New Yorker Lagerhalle. Sand und Schlamm verkratzten die Fotografie. „Ein Akt Gottes“, sagt der Künstler. Tatsächlich hat der Hurrikan erst richtig in Szene gesetzt, worum es Sugimoto in vielen seiner Arbeiten geht: Vergänglichkeit. Die Sturmschäden in diesem Ausschnitt scheinen förmlich auf Jesus überzugehen, als würden sie seinem nahen Tod vorgreifen.
Für den Betrachter ist die Verwirrung komplett
Aber die Sandspuren, die Kratzer und Dellen zeigen noch mehr: den Zusammenhang von Symbolen und ihrer Wirkmacht durch die Geschichte hindurch. Für Sugimoto war „Sandy“ nur im übertragenen Sinne die Hand Gottes. Wir können die Sturmschäden des Bildes auch als ganz natürlichen Verschleiß verstehen. Wie der Lauf der Zeit schon der Vorlage, Leonardos Gemälde, arg zugesetzt hat, so nagte „Sandy“ an der Hochglanzfotografie. Dann ist es plötzlich, als würde dieser Jesus wie aus einer Vergangenheit hervorscheinen. Eine Symbolfigur, die den Zeiten trotzt – nur, dass dem Heiland die linke Hand schon etwas steif geworden scheint.
Das wiederum hängt mit Sugimotos Fotomodell zusammen. Die Aufnahme des Abendmahls stammt nämlich aus einem Wachsfigurenmuseum in Japan. Dort sind Jesus und seine Apostel lebensgroß und in 3-D zu bewundern. Und dort hat der Künstler sie abfotografiert. Für den Betrachter ist die Verwirrung damit komplett. Wir blicken auf die Darstellung einer Darstellung, von Leonardos Wandgemälde über die Wachsfigur zur Fotografie – schon stecken wir mitten im Gestrüpp kunsttheoretischer Reflexionen. Für Sugimoto eine äußerst reizvolle Großwetterlage. Jesus juckt’s nicht mehr. Und wir stellen fest: Das Brot wird mit jedem Blick ein bisschen härter.