Überlebende Herero nach der Flucht durch die Wüste (ca. 1907)
Wikipedia
"Die Moralkeule kann helfen"
1904 hat die Kolonialregierung in Deutsch-Südwestafrika die Herero und Nama fast ausgerottet. Die Nachkommen haben Deutschland verklagt. Jörn Axel Kämmerer über ihre Chancen.
Tim Wegener
21.03.2017

chrismon: Die Herero und Nama klagen gegen Deutschland vor einem US-Gericht. Wieso gerade dort?

Jörn Axel Kämmerer: In den Vereinigten Staaten eröffnet ein Gesetz die Möglichkeit, Zivilklagen vor US-Gerichten zu verhandeln, ohne dass die Streitparteien einen Bezug zu den USA aufweisen, aber nur, wenn es sich um Verstöße gegen das Völkerrecht handelt. Ein Urteil gegen einen souveränen Staat, in diesem Fall die Bundesrepublik, dürfte allerdings wertlos sein, da es in Deutschland weder anerkannt noch vollstreckt werden würde. Staaten können nach dem Völkerrecht grundsätzlich nicht über andere Staaten richten.

Jörn Axel Kämmerer

Jörn Axel Kämmerer, Professor für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Bucerius Law School in Hamburg, hat über das Völkerrecht als Instrument der Wiedergutmachung bei Kolonialverbrechen publiziert.

Deutschland verhandelt über Wiedergutmachungen wegen der Kolonialverbrechen mit Namibia und nicht mit den Opfer­verbänden der Herero und Nama. Warum?

Wenn die Herero und Nama an den Verhandlungen teilnehmen dürften, könnte das Namibias Rolle als Staat schwächen. Und es könnte die Grundlage für weitere Prozesse gegen ehemalige Kolonialmächte schaffen. In Europa haben viele Staaten "Leichen im Keller" und schauen genau darauf, wie Deutschland mit der Situation umgeht.

Wie bewerten Sie die Klageschrift der Herero und Nama?

Sie hat wenig juristische Substanz, wirkt reißerisch. Immer wieder werden Hitler, die Nazis und Auschwitz erwähnt. Es ist klar, was damit suggeriert werden soll.

Könnte die Klage dennoch erfolgreich sein?

Deutschland müsste sich auf die Klage sachlich einlassen. Oder das US-Gericht erklärt sich für zuständig, obwohl sich Deutschland auf die Staatenimmunität beruft. Selbst dann ist es notwendig, dass das Gericht von der Klage überzeugt wird und der Rechtsauffassung, dass es ein Völkermord gewesen sei, folgt. Am Ende muss ein Urteil vollstreckt werden. In Deutschland ist das praktisch nicht möglich.

Was versprechen sich die Herero und Nama von der Klage?

Sie wollen politischen Druck auf Deutschland ausüben und das könnte Wirkung zeigen. Die Medien verfolgen die Debatte intensiv.

Aussicht auf Entschädigung? "Wenn Deutschland sich mit Namibia einig wird"

Sollten die Nachkommen der Herero und Nama Ihrer Meinung nach eine Entschädigung bekommen?

Dass zur Kolonialzeit in Deutsch-Südwestafrika Rassismus und Unter­drückung geherrscht haben, ist keine Frage. Wenn Sie mich als Juristen fragen, muss ich antworten, dass die anwendbaren Völkerrechtsregeln einen direkten Ausgleichsanspruch nicht stützen. Als Bürger denke ich, dass die Moralkeule durchaus helfen kann, weil Staaten sich gern hinter ihrer Immunität verschanzen.

Den Tatbestand des Völkermords gibt es erst seit 1948. Können Verbrechen rückwirkend als solche verurteilt werden?

Nein. Was sich vor dem Zweiten Weltkrieg ereignet hat, kann nicht am Völkermordverbot gemessen werden. Das Völkerrecht lässt sich nicht beliebig in die Vergangenheit projizieren.

Aber der Bundestag hat vergangenes Jahr eine Resolution zur Anerkennung des Genozids an den Armeniern verabschiedet.

Es gibt einen Unterschied zwischen dem juristisch verfolgbaren und dem politisch anerkannten Völkermord. Wenn der Bundestag die Verbrechen an den Armeniern 1915 und 1916 als Völkermord be­zeichnet, muss sich Deutschland gefallen lassen, dass auch die ­Herero und Nama von Genozid sprechen. Eine politische Aner­kennung kann juristische Bindungen erzeugen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das angerufene Gericht aus der Armenien-­Resolution das Eingeständnis eines völkerrechtlichen Verbrechens gegenüber den Herero und Nama ableitet.

Waren die Taten faktisch ein Völkermord?

Zum Teil ja, vor allem die Knechtung der verbliebenen Herero. Was vorher geschah, lässt sich nicht alles hinreichend belegen. Der Vernichtungsbefehl vom 2. Oktober 1904 durch General von Trotha liest sich übel, aber es ist nicht völlig klar, ob er so ausgeführt wurde.

Gibt es überhaupt eine Aussicht auf Entschädigung?

Wenn Deutschland sich mit Namibia einig wird, durchaus. Die Herero und Nama könnten an den Verhandlungen, die zwischen den beiden Ländern laufen, mitwirken und zu einer Vereinbarung in ihrem Interesse beitragen.

 

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