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"Ich glaub nix, mir fehlt nix!"
Der Katholikentag versucht zu verstehen, ob es ein Leben ohne Gott geben kann
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
23.05.2016

Entspannt saugt das religionsentwöhnte Leipzig die Katholikentagsbesucher aus ganz Deutschland auf. Die Stadt, in der lediglich 4,2 Prozent der Bewohner katholisch sind, 82 Prozent aber konfessionslos, lässt sich durch die frommen Gäste nicht einmal in ihrer Säkularität beirren. Platz wäre in den Hallen und auf den Plätzen für weitere zigtausende Christen. Aber das ist auch nicht anders als im religiösen Alltagsleben der Stadt insgesamt.

###mehr-extern###Kritische Mails und Briefe hatte Martin Strauch, der Geschäftsführer des ausrichtenden Vereins, zuvor erhalten. Er bezeichnet manche Post als geradezu „unflätig“.  Sie sind das Produkt einer grundsätzlichen Ablehnung der Religionsgemeinschaften und kritisieren Mitfinanzierung durch den Staat. „Leipzig ist eine sehr säkulare Stadt“, sagte Strauch. Die prinzipielle Ablehnung des Katholikentags in Leipzig war größer als in den Jahren davor in anderen Städten.

Sachsens Atheisten auf verlorenem Posten

Den meisten Leipzigern ist der Katholikentag (Motto: „Seht, das ist der Mensch“) herzlich egal. Aber es gibt auch Atheisten, die Gott aus der Öffentlichkeit verdrängen wollen. Sie heften kleine, miese Aufkleber an Laternenmasten. Auf ihnen ist das Wort „Katholikentag“ rot durchgekreuzt, und eine lachende junge Frau, ähnlich jener auf dem offiziellen Plakat, nun aber im weißen Nonnenhabit, sagt die vulgären Worte: „Gott sei Dank gibt es F.....“ Leichter kann man es der Kirche nicht machen, sich als seriös zu profilieren.„Ich glaube nichts, mir fehlt nichts“: Das ist einer der besonderen Themen des Katholikentags, des 100. In seiner Geschichte. Die Partei Die Linke wird kurz nach dem Katholikentag ihren Bundesparteitag in Magdeburg durchführen. Dort kommen Anträge auf den Tisch, Staat und Kirche knallhart zu trennen. Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow, auch er Katholikentagsredner, vertritt eine andere Linie. Er wirbt für einen „toleranten Umgang mit den Religionen“.

Religiöse Indifferenz ist im Kommen

Die Frage ist: Muss Die Linke überhaupt so massiv gegen die Kirchen in Ostdeutschland Position beziehen? Erledigt sich die Religion, vor allem im Osten Deutschlands, nicht mittelfristig von selbst? Sozialwissenschaftler der evangelischen Kirche haben herausgefunden, dass die überzeugten Atheisten Ostdeutschlands im Schnitt 53 Jahre alt sind, die Indifferenten im Schnitt 43 und die etwas Religiösen unter 30. Das lässt erwarten: Die harten Kritiker jedweder Religion werden im Osten weniger werden, die religiöse Indifferenten vermutlich an Zahl zunehmen. Keine günstige Ausganglage für die Kirchen.

###autor### Man kann es so versuchen wie der Religionsphilosoph Thomás Halík, Professor für Soziologie in Prag. Er versuchte auf dem Katholikentag dem zunehmenden Religionsverlust noch eine erträgliche Seite abzugewinnen, indem er sagte: „Wenn es in der Welt Atheisten und ihren Atheismus gibt, muss in ihr auch die zweite Möglichkeit, nämlich der Glaube, existieren, sonst würde das atheistische Leugnen keinen Sinn machen.“ Nach diesem Gedankenmodell sind religionslose Menschen für Gott und Kirche keineswegs verloren, sondern machen Hoffnung auf die Rückkehr in die Kirche. „Ich möchte darauf hinweisen, dass ein Teil dessen, was als Atheismus bezeichnet wird, ein wichtiges inneres Moment des Glaubensweges darstellt – und zwar den Übergang von religiösen Illusionen zur geistigen Reife.“ Offensichtlich hatte er eher die heftigen Auseinandersetzungen zwischen Christentum und Prager Stalinismus in alten Zeiten vor Augen als den heute oft stillen Abschied von der Kirche.

"In jedem Christ ein kleiner Atheist"

Nun sind Atheismus und religiöse Indifferenz nicht dasselbe. Der Atheist glaubt, dass es keinen Gott gibt, für den Indifferenten spielt Religion überhaupt keine Rolle. Atheisten mögen sich ihrer Einstellung zu Gott noch irgendwie bewusst sein. In jedem Christen wohnt ein kleiner Atheist, in jedem Atheisten ein kleiner Christ, sagte auf dem Katholikentag Eberhard Tiefensee, Religionsphilosoph an der Universität Erfurt. Indifferente definiert er als Menschen ohne jeden Anflug von Religion. Die letzten Religionskontakte liegen in den Familien Generationen zurück. Religiöse Fragen sind für sie irrelevant, sie können den Streit über die Religion nicht einmal verstehen.

Schwierig, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Vor allem wäre es unredlich, die religiös Indifferenten irgendwie als verkappte Gläubige einzuvernehmen. Man braucht zum Leben vieles - aber Religion? fragt Tiefensee. Andere Referenten werden später sagen: „Wir müssen Abschied nehmen von der Vorstellung, dass die Kirchen die Wertevermittler der Gesellschaft sind.“ Und: Es heiße Abstand zu nehmen von der Vorstellung, nichtreligiöse Menschen hätten ein Defizit.

Eine überholte These

Lange hingen die Kirchen der Säkularisierungsthese an: Je moderner eine Gesellschaft ist, desto säkularer. Diese These ist nicht mehr unangefochten. Längst verschwimmen die Grenzen zwischen dem Säkularen und dem Religiösen. Eine überholte Säkularisierungsvorstellung bildet aber leider immer noch die Grundlage vieler kirchlicher Erklärungen.

Wie soll die Kirche weiter verfahren? Die fortschreitende Säkularisierung können die Christen nicht wirklich aufhalten, das schien Konsens bei vielen Referenten des Katholikentags. Die Kirchen können aber aus der Säkularisierung die Lehre ziehen, nicht mehr auf die Wiederbelebung althergebrachter Traditionen zu hoffen, sondern ganz offen zu sein für neue Fragen, Ansprüche, Werterfahrungen.

"Protestanten lieben den säkularen Staat"

Die rheinische Oberkirchenrätin Barbara Rudolph riss mit ihrem Optimismus die Zuhörer mit: „Die evangelische Kirche sieht den säkularen Staat positiv. Protestantismus liebt die Säkularität sehr. Diese hat den kleinen Kirchen ungeheuer gut getan.“ Und sie erzählt von den Waldensern in Italien, den Hugenotten in Frankreich. Sie verdanken dem säkularen Staat ihre eigene Freiheit.

Der Erfurter Ministerpräsident Bodo Ramelow ist Protestant, Gewerkschafter und Sozialist zugleich. Es erstaunt kirchlich geprägte Zuhörer immer wieder, wenn er die religionsfeindliche Haltung in seiner Partei, der Linken, kritisiert. „Die Vorgängerpartei SED sprach im Blick auf das Christentum oft von einer rückwärtsgewandten Weltanschauung“, sie beschämte die Kirchenmitglieder. Aber umgekehrt gab es auch eine heftige Abgrenzung der Kirche gegenüber ihm als Parteimann. „Als ich für die PDS kandidiert habe, saß ich in der Kirchenbank allein da.“

Man kann dankbar dafür sein, dass Linken-Politiker aus ihrer christlichen Haltung keinen Hehl machen. Und dass sie es nicht denen überlassen, die vorgeben, das christliche Abendland zu retten. Bodo Rameloh hat eindeutig die besseren Argumente.

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