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Hinter den Jüngerinnen und Jüngern liegen schwere Wochen: Auf Jesu Erfolge und das Gefühl, Teil einer starken und alles verändernden Bewegung zu sein, folgen die Verhaftung, Folter und Hinrichtung ihres Meisters. Schlimmer kann man nicht scheitern. Für ihn hatten sie alles auf eine Karte gesetzt, ihre Familien, Wohnorte und Arbeitsstellen verlassen. Und jetzt brechen ihre neuen Lebensentwürfe zusammen.
Die Nachricht von der Auferstehung tröstet und verwirrt. Was bedeutet die Auferstehung des hingerichteten Rabbis für die Lebenden? Die Jüngerinnen und Jünger sammeln die Scherben ihrer Träume zusammen und suchen, wie ihr Leben nun weitergehen kann. Manche sind für immer fortgelaufen. Andere hatten sich zurückgezogen, um ihre Wunden zu lecken, und sind nun zurück – wo sollen sie auch hin?
Fünfzig Tage nach Passah sind sie zum jüdischen Wochenfest beieinander. Sie studieren – wie in den Talmud-Tora-Schulen üblich – die ganze Nacht hindurch miteinander die alten biblischen Texte. Diskutieren, tanzen und singen. Sie werfen sich in die Arme der Tradition und lassen sich von ihr tragen. Heute Nacht ist keine Zeit für Streit, Vorwürfe und Zweifel. Heute Nacht ist Zeit für tröstende Einigkeit!
In der eigenen Auferstehung begreifen sie die des Meisters
Im Morgengrauen der Höhepunkt: das gemeinsame Gebet Schma Israel. „Höre Israel, der Herr, Dein Gott ist Einer!“ Und dann mag es geschehen sein: Von einem Brausen wird berichtet und von Feuerflammen. Der Geist Gottes fährt in sie, begeistert und entflammt. Aus Agonie wird Aufbruch und Neuanfang.
Jetzt, wo sie selber auferstehen mitten im Leben, begreifen sie die Auferstehung des Meisters: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Niemals! Sie waren Zweifler und Verzweifelte, zaghaft Hoffende und großspurig Verdrängende. Nur einen Morgen später sind sie die Verkünder von Gottes unendlicher Liebe in allen Sprachen der Welt.
So einig wie in der zurückliegenden Nacht werden sie sich nie wieder fühlen, denn der Schritt hinein in die fremden Sprachen ist kirchengeschichtlich irreversibel. Mit den neuen Sprachräumen erschließt sich das Christentum neue Kulturen und Bräuche. So entsteht eine weltweite Kirche mit sehr unterschiedlichen Traditionen und Festen in sehr unterschiedlichen Organisationsformen und Konfessionen: Das Christentum wird interkulturell. Das ist kein Versehen, sondern die Frucht des Samens, der zu Pfingsten aufging.
In Vielfalt gewachsen
Die Frage nach der Einigkeit beschäftigt die Kirche bis heute. Wie viel Unterschied in Kultur, Tradition und Ethik ertragen wir? Aus dem Neuen Testament wissen wir, dass das bereits die Jüngerinnen und Jünger scharf diskutiert haben: Dürfen auch heidnische Griechen Christen werden? Dürfen sie es, auch wenn sie sich nicht beschneiden lassen? Und ohne die jüdischen Reinheitsgebote einzuhalten?
Sie dürfen, und sie sollen! So beschließen es die Apostel nach heftigem Streit auf ihrem ersten Konzil (nachzulesen in der Apostelgeschichte 15). Eine bis zu diesem Zeitpunkt undenkbare Grenzüberschreitung. Aber eine Kirche, die wachsen will, muss die Vielfalt lieben lernen.
So viel Pluralität kann anstrengend sein, und so verspürt mancher ein verstärktes Bedürfnis nach Einigkeit. Sehen und spüren kann man sie leider nicht häufig, aber mit Hilfe des Heiligen Geistes kann man an die Einheit glauben: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus.“ (Galater 3,28) Die vielen kulturellen und sozialen Unterschiede lassen sich in der Kirche ebenso wenig verleugnen wie die Unterschiede zwischen den Geschlechtern und sexuellen Orientierungen. Aber letztlich sind wir alle eins in Christus.