Nein!, meint Nils Husmann:
Nils Husmann
###drp|3f8b6a5e7ef367097a97d17800000285|i-38||###ist Redakteur bei chrismon. Am Wochenende fiel ihm auf, dass die Berichterstattung über Flüchtlinge Eventcharakter angenommen hat.
Nur eine rechthaberische Petitesse? Nein! Gesten, auch kleine, verraten viel. In diesem Fall, dass eine einfache Frage über allem schwebt: Was ist erreicht? Die Flüchtlinge haben die Phase der akuten Lebensbedrohung hinter sich lassen können, Gott sei Dank. Das ist viel, sehr viel. Aber mehr ist nicht geschafft. Wir bejubeln an den Bahnhöfen eine bloße Selbstverständlichkeit – dass Menschen, die von Krieg und Terror verfolgt sind, bei uns um Asyl bitten und unsere Hilfe erwarten dürfen. Hatten wir uns so an die Beinahe-Abschaffung des Asylrechtes gewöhnt, dass wir diese Selbstverständlichkeit beklatschen müssen?
Der Beifall kann nur dann sinnvoll sein, wenn er über den Moment der Erleichterung hinausweist. Die Flüchtlinge haben alles verloren, ihr Hab und Gut, ihr Zuhause, ihre Heimat, viele auch Freunde und Angehörige. Sie in Deutschland heimisch werden zu lassen, ist nun die eigentliche Aufgabe. Ja, gerade hierfür mag es ein guter, gelungener Schritt sein, sie mit Applaus zu begrüßen. Aber die großen Anstrengungen folgen erst noch. Mein Unbehagen hat einen Grund, eine Vermutung: Dass der Applaus all die Arbeit, die vor uns liegt, überdeckt. „Wir sind die Guten“ – so deutet das Ausland die Bilder aus Deutschland. Nach einer unfassbaren Serie an Übergriffen auf Flüchtlingsheime scheinen die Medien und sozialen Netzwerke gierig die Botschaft aufzusaugen, dass die Hilfsbereitschaft den Hass überwältigen konnte.
Das kann aber nur gelingen, wenn die Hilfe weitergeht. Wenn die, die gestern an Bahnhöfen klatschten, auch akzeptieren, dass die Schulklassen ihrer Töchter und Söhne bald drei Schüler mehr aufnehmen müssen. Wenn die, die eilig Spielzeug an die Gleise schafften, auch bereit sind, der neuen Nachbarfamilie im Ort Deutschunterricht zu geben und sie ins Gemeindeleben einzubinden. Die bösen Geister lassen sich nicht wegklatschen – sondern nur ganz langsam beiseite schieben.
Ja!, meint Hannah Wagner
Hannah Wagner
###drp|izw7pYwyPbj7EkHq3zgohhNQ00117067|i-38||###ist Praktikantin bei chrismon. Auch sie ist unsicher, ob Applaus die richtige Reaktion ist. Für sie ist es aber die gut gemeinte Geste, die zählt.
Mittlerweile kommen immer mehr zweifelnde Stimmen auf: Ist es nicht makaber, Menschen wie Popstars zu bejubeln, die eine oft traumatische Flucht hinter sich haben? Ist das am Ende mehr Selbstinszenierung als Hilfe?
Das sind legitime Fragen. Wer sie stellt, darf aber nicht relativieren, was da gerade in München und anderen deutschen Städten stattfindet: Ein großartiger Akt der Humanität nämlich, eine spontane Welle der Hilfsbereitschaft. Das, was in den letzten Wochen immer wieder vermisst und gefordert wurde, ist nun eingetreten. Unter so vielen helfenden Menschen gibt es sicherlich einzelne, die sich mit ihrem Auftritt am Bahnhof selbst beweihräuchern möchten, sie sind aber nicht die Mehrheit. Ich finde, wir sollten dieser Mehrheit dankbar dafür sein, dass sie da ist, dass sie Willkommensplakate in die Luft hält, Kleidungsstücke verteilt und erschöpften Kindern Schokolade und Kuscheltiere schenkt. Ich freue mich, dass es Menschen gibt, die den Flüchtlingen zeigen: Nach der langen Flucht seid ihr nun an einem Ort, an dem man sich auf euch freut – unabhängig davon, welche Herausforderungen das in den nächsten Monaten mit sich bringt. Und ich freue mich, dass Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus ein wirkungsvolles Bild entgegengesetzt wird.
In den nächsten Wochen wird es darum gehen, diese positive Stimmung aufrecht zu erhalten, dafür zu sorgen, dass die Freude nicht in Frustration umschlägt. Die euphorische Stimmung in München und anderswo darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass uns diese wirklich große Aufgabe erst noch bevorsteht. Im Gegenzug darf aber auch die Angst, an dieser Aufgabe zu scheitern, nicht dazu führen, diese gewaltige Willkommensgeste nun kleinzureden.