Fisch-Symbole
Lisa Rienermann
Vom Spott- zum Ehrentitel
Für die einen ist es eine Frage der Religionszugehörigkeit. Für die anderen ein Ideal. Zu hoch, als dass sie es selbst erreichen könnten
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
02.07.2015

„Heilige“, „Geliebte Gottes“, so umschmeichelte der Apostel Paulus seine Glaubensgenossen. Nur wenn er mit ihnen im Streit lag, wurde er bei der An­rede etwas knapper. Wer sich zur Gemeinde Jesu zählte, sollte sich möglichst auch so verhalten: liebevoll und solidarisch sein im Umgang mit Glaubensgeschwis­tern, in Frieden mit Andersgläubigen leben und ­sogar Feinden vergeben (Römer 12). Natür­lich war so viel Güte schon damals ein ­Ideal. „Nicht, dass ich das Ziel ergriffen ­habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach“ – das musste sogar der Apostel  zugeben (Philipperbrief 3,12).

"Du bist doch gar kein Christ" - wer entscheidet das? Pastor Henning Kiene macht das zentrale Merkmal aus: die Taufe.

Von „Christen“ redeten erstmals die Großstädter aus Antiochien (Apostelgeschichte 11,26). Sie meinten damit die Leute, die den Gekreuzigten als Messias verehrten. Vermutlich war die Wendung auch herablassend gemeint: „Christenpack“. So, wie der jüdische König Agrippa das Wort verwendete, als er den Apostel Paulus vorpredigen ließ. Agrippa hörte ihm eine Weile zu, dann spottete er: „Es fehlte nicht viel, und du hättest einen Christen aus mir gemacht.“ (Apostelgeschichte 26) Erst ein halbes Jahrhundert nach Paulus münzten die Jesusjünger das Wort um – vom Spott- zum Ehrentitel. Als Erster tat ­dies Ignatius, Bischof in Antiochien. Er hoffte inständig, dass er sich durch Tapferkeit als „Christ“ erweisen würde. Die Römer wollten ihn den Löwen in der Arena zum Fraß vorwerfen. Ignatius war entschlossen, das Martyrium auf sich zu nehmen, ohne an der göttlichen Liebe zu zweifeln.

Vorsicht vor religiöser Arroganz

Wer ist also ein Christ? Bis heute bedeutet das Wort beides: die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft und die Auszeichnung, ein würdiger Jünger zu sein. Wo Getaufte in der Minderheit sind, nennen sie sich unterschiedslos „Christen“, egal wie fromm sie sind. Wo aber fast jeder getauft ist, unterscheidet man zwischen den richtigen und den falschen. Unter Tausenden finde sich kaum ein rechter Christ, behauptete Martin Luther. Denn wo alle Welt rechte Christen wären, bräuchte es keine Fürsten und kein Recht. Mit dem Heiligen Geist im Herzen erleide man ­lieber Unrecht, als sich mit Gewalt zu wehren.

Wenige Jahre vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges klagte der lutherische Pfarrer Johann Arndt: Viele Gottlose würden sich vollmundig rühmen, Christen zu sein. Dennoch führten sie ein ganz und gar unchristliches Leben. Arndts Bücher „Vom wahren Christentum“ fanden reißenden Absatz. Offenbar trafen sie einen Nerv.  

Dabei lässt sich kaum sagen, wer richtiger und wer falscher Christ ist. Mancher Superfromme versucht sich positiv von den „Namens­christen“ abzuheben, von „Schein- und Sonntagschristen“. Doch gerade damit setzt er sich dem Vorwurf religiöser Arroganz aus.

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Schon Jesus hatte all denen Selbstgerechtigkeit vorgeworfen, die sich als die besseren Gläubigen präsentierten. Ihnen erzählte er das Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner: Beide beten im Tempel. Der Pharisäer dankt Gott, dass er nicht wie die Räuber, Betrüger und Ehebrecher ist, sondern gewissenhaft seinen religiösen Pflichten nachgeht. Der Zöllner dagegen bittet Gott demütig um Vergebung – und erweist sich als der wahre Gerechte (Lukas 18,9–14). Das Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner zeigt: Nicht Erlösungsgewissheit macht den Christen aus, sondern die Offenheit, sich ganz Gott anzuvertrauen.

Ähnlich scharf sagte es der Theologe Karl Barth (1886–1968). Religion sei Unglaube und somit gottlos: „Indem wir Gott auf den Weltenthron setzen, meinen wir uns selbst. Indem wir an ihn ‚glauben‘, rechtfertigen, genießen und verehren wir uns selbst. Unsre Frömmigkeit besteht darin, dass wir uns selbst und die Welt feierlich bestätigen . . .“ Erst wo diese Selbstvergottung erschüttert werde, erst im Zweifel und in der Ohnmacht, entstehe Raum für den ganz Anderen, für Gott. „Der Christ ist das in uns, was nicht wir sind, sondern Chris­tus in uns“, formulierte Barth. – Vielleicht sind ja gerade diejenigen, die Chris­tus auf der Spur sind, besonders zögerlich, sich selbst auch Christen zu nennen.

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