Margot Käßmann
Foto: epd-bild/Andreas Schoelzel
epd-bild/Andreas Schoelzel
Was ist Schönheit?
Hier ein bisschen Botox, dort eine Straffung: Warum der körperliche Optimierungswahn ein Weg in die falsche Richtung ist
Evelyn Dragan
03.06.2015

Beirut ist eine faszinierende Stadt: so quirlig, unerwartet liberal. Vor zwei Monaten war ich zu einer Konferenz dort. Die Wunden des Krieges sind überall zu sehen, aber die Menschen scheinen entschlossen, frei zu leben – nur 80 Kilo­meter von der syrischen Grenze und diesem grauenvollen Krieg entfernt.

Was mich irritiert hat: Überall wird für Schönheitsoperationen geworben. Facelifting, Bauchfettabsaugung, Ganzkörperenthaarung. Vaginalstraffung. Mir war es offen gestanden peinlich, das in großen  Plakaten am Straßenrand angepriesen zu sehen. Jedes Jahr sollen im Libanon rund 1,5 Millionen kosmetische Operationen durchgeführt werden, zusätzlich zu schätzungsweise zehn Millionen Behandlungen mit Botox oder Kollagenfillings.

Vielleicht hat diese Sehnsucht nach Perfektion und Schönheit auch mit der furchtbar fragilen Lage im Land zu tun. Was aber ist eigentlich los, dass wir uns alle ständig optimieren müssen? Laut Statistik wurden 2013 weltweit rund 11,6 Millionen Schönheitsoperationen durchgeführt, die höchste Zahl dabei entfiel mit 1,77 Millionen Eingriffen auf Brustvergrößerungen. Auch in Deutschland ist die Zahl sehr hoch.

Immer mehr junge Frauen – und in­zwischen auch junge Männer – sind ­massiv essgestört. Sie haben das Gefühl, nichts wert zu sein, wenn sie nicht dem Ideal der Models aus den Castingshows bei Heidi Klum entsprechen. Das Leben erscheint nur noch eine Bedeutung zu ­haben, wenn der Body-Mass-Index stimmt.

Gut, ich gehe auf die 60 zu und weiß wohl, dass ich nicht mehr aussehe wie mit 30, 40 oder 50. Inzwischen denke ich manchmal auch, ob es nicht sinnvoll wäre, hier etwas zu liften, da etwas Nervengift zu spritzen. Ich sehe den Popstar Madonna – mein Jahrgang – und muss zugeben: Sie sieht dank Schönheitschirurgie mindes­tens zwanzig Jahre jünger aus! Da kommt die Frage: Wäre das nicht toll?

Der Optimierungswahn macht uns verrückt!

Aber was machen wir da? Klar, es ist  schön anzusehen, wenn junge Leute gut aussehen. Das wird schon in der Bibel gepriesen. Als David zum König gesalbt werden soll, heißt es: „Und er war bräunlich, mit schönen Augen und von guter Gestalt“ (1. Samuel 16,12). Aber es gibt schlicht auch das Alter. Alle wollen alt werden, aber niemand will alt aussehen!

Bei einem Vortrag habe ich einmal etwas lästerlich gesagt, zumindest die Hände von Madonna würden ihr Alter bloßlegen. Einige Monate später schickte mir eine Frau einen Zeitungsartikel: Madonna hätte sich die Hände liften lassen. Seufz, keine Chance also. Dann aber saß ich am Bett meiner sterbenden Mutter, sie war 91. Ich streichelte ihre Hände und dachte: Du hast so schöne Hände, das habe ich nie vorher gesehen! Ihre Hände haben mir an diesem Abend viel gegeben, weil sie so viel erzählt haben von einem langen, nicht immer einfachen, aber intensiven Leben.

Ich wünsche mir, dass wir damit leben können, alt zu werden. Eine Großmutter ist schlicht keine 30-Jährige mehr. Ja, wir sollen sorgsam mit unserem Körper umgehen. Aber dieser Optimierungswahn macht uns doch verrückt. Was für ein Druck! Da halte ich es gern mit Psalm 139 (Vers 14): „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin.“

Menschen sind verschieden: groß und klein, dick und dünn, alt und jung. Solche Vielfalt ist anregend, wunderbar. Nach dem biblischen Menschenbild zeigt sich in jedem und jeder ein Abglanz Gottes. Vielleicht kann dieser Blick beruhigen, entspannen. Wir Menschen sind Geschöpfe Gottes. Vielfältig, verschieden, mit Macken und Alterserscheinungen, aber durchaus liebenswert.

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Liebe Frau Dr. Käßmann,

ich finde Ihre Meinung zum Optimierungswahn bedenkenswert...allerdings sind Ihre Beispiele für die meisten Ihrer Leser(innen) weit hergeholt. Spannend wäre Ihre Meinung, wenn es um naheliegende Dinge geht: Müssen Sie nicht konsequenterweise z. B. auch gegen das alltägliche, massenhafte Haare färben oder tönen angehen? Was ist eigentlich mit den Milliarden Einnahmen der Kosmetikindustrie für "Sie" und "Ihn" hier bei uns? Ist das nicht auch Teil des Optimierungswahn - aber eben *hier* und nicht in Beirut? Möchte man/frau nicht damit auch sein bzw. ihr Alter verdrängen? Oder ist das jetzt etwas ganz anderes, weil es Ihre Leser(innen) (und auch Sie) sehr persönlich (be)trifft? Oder anders herum: ich kann nur hoffen, dass auf dem Bild zum Artikel Ihre Haare nur per Photoshop so schön schwarz wurden und das gut sichtbare Make-up nur von einer schlechten Belichtung herrührt. Sollte dies nicht der Fall sein, bin ich auf an einen weiteren Artikel von Ihnen interessiert, wie z.B. über das Christuswort vom Wasser predigen und Wein trinken...

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11,6 Millionen Schönheitsoperationen weltweit im Jahr 2013. Eine winzige Minderheit die glaubt damit glücklich zu werden und sich dabei oft nur lächerlich macht. Margot Käßmann aber folgert daraus: „Alle wollen alt werden, aber niemand will alt aussehen“. Ich gehöre auf jeden Fall nicht zu dieser Kategorie, meine Frau auch nicht alle unsere Freunde nicht und alle Mitmenschen, denen ich täglich begegne offensichtlich auch nicht. Aber danke dafür, dass wir so schön am Händchen genommen und davor bewahrt werden doch noch zum Chirurgen zu gehen. Ja, und die schönen, alten Hände der Mutter doch noch rechtzeitig wahrgenommen. Glück gehabt!

Mit freundlichen Grüßen   
Hans Luz, Reutlingen

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Sehr geehrte Frau Professor Käßmann,

gestatten Sie …..

wer in diesen Wochen einen Besuch in Beirut zum Anlass nimmt, einen Artikel über Schönheitsoperationen zu schreiben, muß sich Gegenrede gefallen lassen – jedenfalls von jemandem dem die Zerstörungen Libanons durch den Bürgerkrieg und wiederholt den Staat Israel gegenwärtig sind.

Die Lebensverhältnisse in Libanon werden nicht durch das Anpreisen von Schönheitsoperationen geprägt,  sondern durch die bedrohliche Situation zwischen Israel und den von den christlichen USA zerstörten bzw. auf lange Zeit destabilisierten Ländern Irak und Syrien, man sollte besser sagen „ehemaligen Ländern „ !

Wenn Sie in Beirut auch die palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Shatila besucht hätten zur Erinnerung an die Massaker christlicher Milizen unter israelischem militärischem Schutz, wäre das eine christliche Botschaft gewesen.

In diesem Sinn rege ich an, dass Sie in Libanon und der Türkei Flüchtlinge in ihren Behausungen unter Plastikbahnen besuchen und sich dort wenigstens eine Woche lang aufhalten.

Gern würde ich Sie dabei begleiten, kann ich doch als Rentner ohne Amt und Würden eine solche Reise leider nicht selbst organisieren.

Mit freundlichem Gruß
Friedemann Ungerer
Anklam

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Libanesen sind Lebenskünstler. Wer sich über die Reklame im Libanon aufregt, beweist damit nur, wie weit er sich bereits von den Realitäten des menschlichen Verhaltens entfernt hat. Selbst in den bösesten Bombennächten gab es einvernehmlichen Sex. 1944 wurden noch Unterhaltungsfilme gedreht. Bereits 1945 begannen wieder Opern- und Schauspielhäuser zu spielen. Nach mir die Sintflut war und ist, nicht allen Fällen, eine hervorragende Überlebensphilosophie.

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Die meisten Schönheitsoperationen sind Pfusch. Die Gesichter sehen danach nicht mehr natürlich aus. Die künstlichen Brüste, die man in den Unterhaltungsfilmen für Erwachsene aus dem San Fernando Tal sieht, finde ich auch abstoßend. Ich suche immer nach den Narben, die von den OPs zurückbleiben. Natürlichkeit ist die wichtigste Komponente der Schönheit. Natürlich sollte man aber für sich etwas tun. Man sollte Sport machen. 40 km die Woche laufen bringt sehr viel, ist vielen aber zu anstrengend. Viele Leute sind auch mangelernährt. Mit den richtigen Vitaminen und Mineralstoffen kann man da viel bewegen. Leider werden die notwendigen Tests normalerweise nicht gemacht, man kann damit einfach nicht genug Geld verdienen. Jane Fonda (Hanoi Jane) z. B. bereut ihre OPs inzwischen wie viele andere Menschen auch. Am schlimmsten finde ich die sich epidemisch ausbreitenden Tätowierungen. Wenn die Motive ein Spiegel des Geschmacks der Träger sind, dann aber gute Nacht.

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Ich wurde durch einen FAS-Artikel auf die Text-Bild-Schere dieses Artikels aufmerksam, dem die Bigotterie sauer aufstieß. Eine offensichtlich gephotoshoppte Theologin publiziert hier "Bild der Frau"-Themen volkserziehend und bevormundend paternalistisch, bzw. maternalistisch. Im Hinblick auf das, was Menschen in Libyen tatsächlich erleiden müssen, ist das eine sehr milieuverengte Haltung. Diese Prosecco- und Canapé-Weltsicht teilt sie mit den Artikeln von Breit-Keßler und Kurschus. Medienjournalisten nennen so etwas "simulierter Content".
Dann doch lieber Madonna, die sich als 6. Kind einer Underschichts-Familie selbst bis ganz nach oben gearbeitet hat - ohne Beamten-Salär und Pension und mit ihrem Körper als einzigem Produktions-Kapital. Als Evita sang sie : "Whow the middle-classes, I will never accept them." Das ist für mich immer noch die authentischere Predigt. Von der appelativen Besserwisserei deutscher Kirchenfunktionärinnen hab ich gerade als aktive evangelische Christin die Nase voll.