Jan Hus? In meinem Theologiestudium tauchte dieser Name nur als Fußnote in einem Lehrbuch auf. Hier in Tschechien kennt ihn jedes Kind. Der böhmische Prediger, der hundert Jahre vor Martin Luther die erste Reformation in Europa anstieß und 1415 auf dem Scheiterhaufen starb, ist eine Art Nationalheld. Er hatte in seiner Muttersprache gepredigt, gegen den Einfluss der römischen Kirche und den Einfluss der Deutschen gekämpft, die damals in Böhmen viele hohe geistliche und weltliche Ämter besetzten.
Unzählige Male schon war ich mit Priesterseminaristen und Konfirmanden auf Jan Hus’ Spuren unterwegs durch die Prager Innenstadt. Es gibt viel zu entdecken. Der Reformator leitete die hiesige Universität und predigte in der Bethlehem-Kapelle in der Altstadt, manchmal vor 3000 Besuchern. Dort erinnert eine Wandmalerei an sein Schicksal. Und auf dem Altstädter Ring steht ein großes Standbild des Reformators, darunter seine Worte „Die Wahrheit wird siegen“, die auch zum Wahlspruch der tschechischen Republik wurden.
Jan Hus und seine Anhänger wollten die Bibelfrömmigkeit fördern und der Volkssprache den Vorrang vor dem Lateinischen geben. Sie reichten auch den Laien den Abendmahlskelch, nicht nur den Priestern, wie es damals allgemein üblich war. Der Laienkelch wurde zum Kennzeichen ihrer Bewegung. Er stand für eine Kirche, in der allen Christen die gleichen Rechte zukommen.
Am 6. Juli 1415 wurde Jan Hus in Konstanz als Ketzer verbrannt. Sein Tod setzte eine Bewegung in Gang, die eine eigene, nur noch sehr lose mit Rom verbundene tschechische Nationalkirche hervorbrachte. 2015 feiert die „Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder“, zu der auch unsere Gemeinde gehört, ihr Reformationsjubiläum. Höhepunkt ist der 6. Juli 2015, Jan Hus’ 600. Todestag.
Ich bin vor allem gespannt darauf, wie der tschechische Staat diesen Tag begehen wird. Immerhin ist Tschechien das am stärksten säkularisierte Land Europas. Und so sehr man Jan Hus hier auch verehrt – kaum jemand weiß, dass er ein Kirchenreformator und ein Glaubenszeuge war.