20.10.2010

Modefragen gelten als Privatsache, auch in den Schulen. Als jüngst die Frage durch die Medien geisterte, ob "bauchfreie" T-Shirts den Schulbetrieb stören, konnte man noch schmunzeln. Sonst keine Probleme?

Nicht zum Schmunzeln, sondern ernst ist die Frage, ob eine muslimische Lehrerin im Unterricht ein Kopftuch tragen darf. Gerichte aller Instanzen haben sich inzwischen damit befasst. Ist auch das Kopftuch der Lehrerin Privatsache? Wie verhält sich das Recht der Lehrerin, ihrer religiösen Überzeugung zu folgen, zum Recht der Kinder, in einer staatlichen Schule keiner übermäßigen religiösen Beeinflussung ausgesetzt zu sein. Wie verhält es sich zum Erziehungsrecht der Eltern und zum Bildungsauftrag der Schulen eines weltanschaulich neutralen Staates?

Die Motive, ein Kopftuch zu tragen, sind sicherlich sehr unterschiedlich. Religiöse Überzeugungen und Traditionen, aber auch familiärer Druck lassen manche Frauen das Kopftuch anlegen. Sie würden sich sonst "ihrer Blöße schämen". Manche Migrantinnen tragen das Tuch selbstbewusst und emanzipiert. Sie wollen ihrer deutschen Umwelt signalisieren: Akzeptiert mich so, wie ich bin, anders, aber doch als Teil einer pluralen Gesellschaft. Millionen Musliminnen in aller Welt aber tragen kein Kopftuch. Der türkische Theologenrat lehnt eine religiöse Pflicht zum Kopftuchtragen ab. Anders der Zentralrat der Muslime in Deutschland: Er hält sie ­ im Blick auf Frauen "ab der Geschlechtsreife" ­ für einen Bestandteil der islamischen Lehre.

Seinen Siegeszug trat das Kopftuch nach der islamischen Revolution im Iran und dank der aus Saudi-Arabien finanzierten, weltweiten islamischen Missionstätigkeit an. Die häufig mit Gewalt durchgesetzte Kleiderordnung der Islamisten zeigte oft das Ende weiterer Freiheitsrechte an. Den schaurigen Höhepunkt dieser Entwicklung bildete der "Tugend-Terror" der Taliban in Afghanistan, die die Frauen zwangen, den ganzen Körper mit der Burka zu verhüllen. Inzwischen schrecken uns Meldungen aus dem Irak auf, wonach militante Schiiten versuchen, auch Christinnen zur Beachtung ihrer Bekleidungsvorschriften zu zwingen. Weltweit verknüpft sich mit dem Kopftuchtragen auch eine politische Botschaft. Es geht um die Proklamation eines Frauenbildes, das mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau, wie sie in unserem Grundgesetz verankert ist, unvereinbar ist. Diese politische Dimension hat das Kopftuch unabhängig von den individuellen Motiven, es zu tragen.

Wer in einer staatlichen Schule unterrichtet, dort für Kinder ein Vorbild sein soll (von dem manches durch bloße Nachahmung übernommen wird), muss sich diese Außenwirkung zurechnen lassen. Deshalb begründet das Kopftuch Zweifel an der Eignung zur Lehrerin.

Ob dies dazu führen muss, dass man Lehrerinnen in staatlichen Schulen das Kopftuch generell verbietet, mag juristisch umstritten sein. Ob Kriterien für Einzelfallentscheidungen praktikabel sind, ist zu bezweifeln. Wir sollten uns jedenfalls davor hüten, es für Toleranz zu halten, wenn wir Auffassungen Vorschub leisten, vor deren Intoleranz sich Frauen in vielen Teilen der Welt fürchten. Hermann Gröhe

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