20.10.2010

Brennende dänische Fahnen, beschädigte Botschaften und Kulturzentren, Anschläge auf Kirchen in Pakistan und Sri Lanka, ein ermordeter katholischer Priester in der Türkei, gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen in Nigeria ­ es ist erst wenige Wochen her, da vermittelten uns Bilder aus aller Welt den Eindruck: Der "Kampf der Kulturen", vor dem einst der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington warnte, ist zur Realität geworden. Zum Stein des Anstoßes waren Karikaturen geworden, die in einer dänischen Zeitung abgedruckt wurden und durch die sich viele Muslime verletzt fühlten.

Schwamm drüber? Nein.

Inzwischen sind die Gewalttätigkeiten abgeebbt. Also: Schwamm drüber? Nein. Denn es gilt, die Lehren aus diesem plötzlichen, nahezu weltweit zu beobachtenden Gewaltausbruch zu ziehen. Dankbar stelle ich fest, dass in Deutschland der Protest von muslimischer Seite gewaltfrei war. Gemäßigte Sprecher der Muslime in Deutschland haben dazu ganz wesentlich beigetragen. In vielen Teilen der Welt sah es anders aus: Massenmedien, Hassprediger und politische Demagogen stachelten die Empörung an, und in Ländern, in denen ein allgegenwärtiger Geheimdienst jedes kleinere Treffen aufmerksam beobachtet, kam es zu angeblich spontanen Massenkundgebungen, für die dann auch ­ für Beobachter erstaunlich ­ eine große Zahl dänischer Flaggen zur Verfügung stand.

Musste das alles sein? Hätten die dänischen Zeitungsmacher, so fragten auch viele im Westen schnell, nicht darauf verzichten können, religiöse Gefühle zu verletzen? Sicherlich ist es wünschenswert, dass die religiösen Gefühle von Menschen geachtet werden. Ich wünsche mir dies für meinen Glauben, schulde es also auch jeder anderen Überzeugung.

Ich wünsche mir dies für meinen Glauben, schulde es also auch jeder anderen Überzeugung.

Die Verletzung religiöser Gefühle kann die scharfe Zurückweisung, in bestimmten Fällen auch die Anrufung von Presse- oder Medienräten, schließlich der Gerichte gebieten. Doch Gewalt rechtfertigt sie nie! Auch nicht den vorschnellen Ruf nach einer gesetzlichen Begrenzung von Freiheitsrechten.

Menschen fühlen sich durch manche Darstellungen des gekreuzigten Jesus in ihren religiösen Gefühlen verletzt ­ mich zum Beispiel ärgert die Verballhornung christlicher Symbole in der Werbung sehr. Andere Menschen empört der Anblick unverschleierter Frauen, die gemeinsame Nutzung eines Schwimmbades durch Frauen und Männer, das Angebot bestimmter Speisen und alkoholischer Getränke. Keiner wird dies alles aber bei uns verbieten wollen.

Wir im Westen sollten für unser Verständnis einer freiheitlichen Gesellschaft selbstbewusst eintreten, auch im Gespräch mit dem Islam, das nicht zum Austausch höflicher "Dialog-der-Kulturen"-Floskeln verkommen darf, weil wir uns nicht an strittige Kernfragen herantrauen. Wir sollten klar aussprechen: Die Hassprediger und Steinewerfer der letzten Wochen haben ja geradezu bestätigt, was mit den Karikaturen kritisiert werden sollte: die wachsende Gewaltbereitschaft unter Berufung auf den Islam. Um sie geht es bei der Karikatur, die den Propheten mit einer Bombe im Turban zeigt. Man mag darin eine inakzeptable Verallgemeinerung sehen. Proteste dagegen mögen geboten sein. Überzeugend werden diese erst durch konsequenten Gewaltverzicht.

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