Als eingeheiratete Schwiegertochter hatte sie auf dem Hof jahrzehntelang nicht viel zu melden. Aber jetzt!
07.10.2010

Hinrich hat nichts gesagt, als er mich das erste Mal mit Schirmmütze hinter dem Eiswagen gesehen hat. Mein Mann hat mich ja schon ganz anders erlebt, zum Beispiel wenn ich aus dem Melkstand komme und eine Kuh hat was fallen lassen auf mir. Aber die Bauern im Dorf haben uns für verrückt erklärt, als wir letztes Jahr die Eisdiele aufmachten. In einem umgebauten Kälberstall! Von den Wänden mussten wir erst noch den Mist abkratzen. Der Hof ist über 300 Jahre alt, hier wurden immer nur Kühe gemolken - und jetzt macht der Bauernsohn mit seiner Frau Eis, und die Altbäuerin serviert es. Das gab's noch nie.

Schon immer wollte ich was Eigenes aufbauen. Aber dafür musste ich lang kämpfen. Ich habe ja in diesen Hof eingeheiratet, vor 42 Jahren, und als Schwiegertochter hatte ich nichts zu sagen. Da hieß es: Mach das Zimmer sauber! Hilf auf dem Acker! Ich konnte nichts allein entscheiden, dabei bin ich selbst in einer Bauernfamilie groß geworden. Ich kannte mich aus mit Kühen. Während die Frauen übers Kochen und die Kinder redeten, überlegte ich, wie man die Milchwirtschaft optimieren könnte. Aber so was war traditionell Männersache. Ich nahm mir kleine Freiheiten heraus: Trecker fahren, das liebte ich. Ich fuhr auf dem Feld Wettrennen mit den Männern, die auf den Maishäckslern saßen.

Es dauerte 20 Jahre, bis ich die Chance bekam, mich zu beweisen. Wir brauchten damals neue Stallungen, weil wir mehr Kühe hatten. Und ich konnte meinen Mann überzeugen, einen Boxenlaufstall zu bauen - einen Stall, in dem sich die Tiere frei bewegen können. Bisher war es jahrhundertelang so gewesen, dass sie im Winter nur auf einem Platz stehen und liegen konnten. Wir waren die Ersten im Dorf damit. Und wir hatten Erfolg: Den Kühen ging es besser, sie gaben mehr Milch. Wir bauten weitere Ställe.

Mein Mann hat mir damals auch die Buchführung übertragen. Eine kleine Revolution! Die Älteren auf dem Hof meckerten: Das muss der Bauer selbst machen. Aber Hinrich sah, was ich kann. Von nun an teilten wir uns die Arbeit auf. Er übernahm die Feldarbeit, ich war für die Kühe zuständig.

Als mein Mann in Rente ging, übernahm mein Sohn Ralf mit seiner Frau den Hof. Mir fiel das sehr schwer. Ich war erst 57, was sollte ich jetzt machen? Rumsitzen kann ich nicht, dann grüble ich zu viel. Und der Schwiegertochter im Haushalt helfen, wie es üblich war? Ich hatte selbst erlebt, wie das ist, wenn sich die Schwiegermutter einmischt, das wollte ich ihr ersparen. Ich fing an, mit Quark und Käse zu experimentieren. Verkaufte den im Dorf. Dann sah ich auf einem Markt einen Milchbauern, der Eis produzierte. War das ein Ausweg?

Wir brauchten ohnehin ein zweites Standbein. Wir mussten immer mehr Milch produzieren, weil wir mit dem Liter weniger verdienten. Aber wenn man mehr Kühe hat, inzwischen sind es 85, dann muss man auch mehr Futter anbauen und dafür mehr Land pachten. Doch das reißen sich schon die Großbauern unter den Nagel. Einige Milchbauern im Dorf haben jetzt Biogasanlagen als zweite Einnahmequelle. Mein Sohn kaufte eine Eismaschine.

Natürlich hatte ich Angst, dass es nicht klappt. Die Eisdiele hat 150 000 Euro gekostet, da müssen wir viele Kugeln verkaufen, sonst ist der Altenteil aus dem Betrieb für meinen Mann und mich futsch. Und dann wollte mein Sohn auch noch ganz besonderes Eis machen: nicht nur Vanille und Schoko, sondern auch Möhre-Kokos, Apfel-Waldmeister oder Erdbeer-Basilikum. Wir übten Eiskugeln in die Waffel drücken, ohne dass sie zerbricht. Und wie man Latte macchiato macht. Tja, und jetzt läuft das Geschäft. An heißen Tagen stehen die Leute Schlange.

Ich bin immer noch gern bei den Kühen. Jeden Morgen um sechs gehe ich zum Melken in den Stall, sage der alten Titania Hallo, gucke nach den kranken Tieren. Aber mit den Menschen, das gefällt mir besonders gut. Die kommen von überall her, man kommt ins Reden. Und wenn jetzt Volkslauf ist in Wilstedt, dann rennen über 4000 Menschen hier bei uns vorbei. Und ich steh mit dem Wagen an der Straße und verkaufe Eis. e

Protokoll: Ariane Heimbach

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