Marco Wagner
Unerbittlich gegen die Armut
Den äthiopischen Pastor Gudina Tumsa konnten Rassisten nicht beeindrucken, erst recht nicht der sozialistische Diktator Mengistu
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
27.08.2013

Er hätte mit seiner Familie nach Genf ziehen und eine gut dotierte Stelle an­nehmen können. Freunde hatten alles vorbereitet, drängten ihn, Äthiopien zu ver­lassen. Doch für Gudina Tumsa war klar: Er wollte bei seinem Volk und seiner Kirche bleiben. Wenige Wochen später, im Juli 1979, wurde er verhaftet und ermordet.

Kurz zuvor hatte Gudina geschrieben: „Ein verantwortungsvoller Christ fordert das Martyrium nicht heraus. Christ sein heißt nicht, Held sein und sich in der Geschichte einen Namen zu machen. Ein Christ geht nur dann als Lamm zur Schlachtbank, wenn er oder sie weiß, dass es ganz und gar in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes ist, der ihn oder sie zu diesem Dienst gerufen hat.“

Vom Krankenpfleger zum Stadtpfarrer

Gudina, ein Oromo, kam aus dem ländlichen Westen Äthiopiens, sein Vater Tumsa hatte ihn 1939 als Zehnjährigen in eine schwedische Missionsschule gegeben. Gudina konvertierte zum Protestantismus und nahm dafür heftigen Streit mit seiner traditionell religiösen Famlie in Kauf. 1947 zog er in die damalige Provinzhauptstadt Nekemte und wurde Krankenpfleger.

Ende der dreißiger Jahre hatten die italienischen Faschisten Äthiopien besetzt. Westliche Missionare, die sie für Spione hielten, schickten sie nach Hause, um ungestört herrschen zu können. Erst als der äthiopische Kaiser wieder regierte, kamen die Missionare zurück und ver­halfen den stark anwachsenden Gemeinden zur ­Unabhängigkeit. Sie bildeten einheimische Theo­logen aus. Gudina Tumsa schloss sich gleich dem zweiten Lehrgang an und wurde dann der erste Stadtpfarrer in Nekemte.

Bald erhielt er ein Stipendium für eine theologische Weiterbildung in den USA. Er kam gerade in St. Paul, Minnesota, an, als Martin Luther King eine viertel Million Menschen beim Protestmarsch auf Washington gegen Rassentrennung anführte und seine berühmte Rede hielt: „I have a dream.“ In den drei Jahren seines Aufenthalts erlebte Gudina, wie friedlicher Bürgerprotest in Krawall umschlug, wie King gegen den Vietnamkrieg opponierte und zunehmend attackiert wurde. Prägen­de Jahre für den Äthiopier.

"Evangelium rettet vor Unterdrückung"

Von Rassisten ließ sich Gudina jedenfalls nicht beeindrucken. 1970 reiste er mit Delegierten des Lutherischen Weltbundes durch Südafrika, inzwischen war er leitender Geistlicher der äthiopischen Mekane-Yesus-Kirche. Um die Apartheidbestimmungen scherte er sich einfach nicht und betrat selbstverständlich auch Hotels und Restaurants „nur für Weiße“.

Gudina war ein politischer Pastor. Die verarmten äthiopischen Bauern klagten über hohe Abgaben, die Studenten wollten Anfang der 1970er Jahre mehr Demokratie. Die evangelische Kirche war die einzige demokratische Institution im Land. Ihr Generalsekretär Gudina machte sich die Forderung der Bauern nach einer Landreform zu eigen. Er forderte auch die Synoden auf, die Kirchengehälter anzugleichen: Hohe Einkommen wie sein eigenes sollten gekürzt, niedrige erhöht werden. Die sozialistischen Revolutionäre schienen die passenden Verbündeten für die Kirche. Gudina erkundigte sich, welche Erfahrungen die Kirchen in Osteuropa mit dem Sozialismus gemacht hätten. Er ließ seinen sozialistischen Bruder Baro Tumsa vor einer Synode reden, kritisierte dann aber doch dessen Gott- und Menschenfeindlichkeit. Das Evangelium rette von ewiger Verdammnis und wirtschaftlicher Ausbeutung – und von politischer Unterdrückung, insistierte er.

Nach dem Herrschaftswechsel kamen Jahre der Unterdrückung. Der sozialistische Dikator Mengistu ließ ab 1977 Kirchen schließen. Trotzdem wollte er Gudina auf Propaganda­reise durch Amerika und Europa schicken, um zu verbreiten, in Äthiopien gebe es keine Christenverfolgung. Gudina weigerte sich, predigte aufrecht weiter.
1977 verschwand Gudina erstmals im Gefängnis. Aus aller Welt kamen An­fragen an die äthiopische Regierung. Die hatte offenbar nicht mit so viel Aufmerksamkeit gerechnet, verlegte ihn erst in ein abgeschiedeneres Gefängnis und ließ ihn schließlich frei. Bei der zweiten Verhaftung im Juni 1979 drohte man, ihn zu töten. Gudina hätte das Land verlassen können, aber er ließ sich nicht einschüchtern. Ende Juli kamen die Soldaten wieder. Gudina Tumsa wurde 50 Jahre alt.

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