"Einmal essen gehen im Monat" – auf diese Größenordnung belief sich die Höhe der Kirchensteuer. Damals, mit Mitte zwanzig, als Thomas sein erstes Geld verdiente, war ihm seine Kirchenmitgliedschaft erstmals wirklich aufgefallen – auf dem Lohnstreifen. Viel Geld war das nicht, aber dafür, dass er mit der Kirche kaum Berührung hatte, außer alle Jahre einen Weihnachtsgottesdienst zu besuchen, erschien ihm der monatliche Beitrag zu hoch. Kurzer Gang zum Standesamt. Kirchenaustritt. Fertig.
Eigentlich freute sich Thomas, als ihn ein Freund kürzlich fragte, ob er Pate seiner kleinen Tochter werden wolle. Aber er musste sagen: "Sorry, ich bin aus der Kirche ausgetreten." Sein Freund ließ nicht locker: "Na, dann trittst du eben wieder ein." Thomas zögerte: "Es war wegen der Kirchensteuer." Der Freund rollte die Augen. Schnell wechselten sie das Thema.
Jetzt, neun Jahre nach dem Kirchenaustritt, bedauert Thomas diesen Schritt. Gerne würde er Pate des Kindes werden, und eigentlich hat er auch nichts Grundsätzliches gegen die Kirche einzuwenden. Also, warum nicht? Muss er wieder auf das Standesamt oder zu einem Pfarrer? Muss er eine Glaubensprüfung ablegen oder sich zu weitreichenden Dingen verpflichten?
Es ist viel einfacher: Wer in die Kirche eintreten will, wendet sich an die Pfarrerin oder den Pfarrer seiner Gemeinde. In vielen Großstädten gibt es sogar zentrale Wiedereintrittsstellen, denn viele Menschen wissen gar nicht mehr, zu welcher Kirchengemeinde sie denn gehören.
Wie bei allen menschlichen Organisationen ist in der Kirche nicht alles Gold, was glänzt
Den Besuch bei der Wiedereintrittsstelle behält Thomas in guter Erinnerung: Die junge Pfarrerin freut sich über sein Ansinnen und überprüft seine Taufurkunde. Dann fragt sie, warum er denn wieder eintreten wolle. Thomas sagt, dass er sich immer als Christ gefühlt habe, auch nach seinem Kirchenaustritt. Die Pfarrerin lacht: "Sie sind auch immer Christ gewesen! Da Sie als Kind getauft worden sind, gelten Sie nach evangelischem Verständnis als Christ, denn Christ wird man durch die Taufe, ein Sakrament, und nicht durch einen formalen Kircheneintritt. Ihr Austritt damals hat Ihre Taufe nicht ausgelöscht, das geht gar nicht!" Thomas überlegt, dann fragt er: "Aber wieso soll ich denn dann wieder eintreten?" Die Pastorin entgegnet: "Stimmt, theoretisch könnten Sie auch ohne formale Kirchenmitgliedschaft Christ sein. Mit Ihrem Eintritt unterstützen Sie unsere real existierende Kirche mit ihren Gemeinden, Einrichtungen, Amtsträgern und Angestellten. Wie bei allen menschlichen Organisationen passieren hier Fehler und ist nicht alles Gold, was glänzt. Aber ich finde, die Zugehörigkeit zu dieser real existierenden Kirche ist trotzdem wichtig. Sie organisiert und verwaltet die Handlungen und Vollzüge des christlichen Glaubens und leistet darüber hinaus vielfältige soziale und kulturelle Arbeit in unserer Gesellschaft. Davon abgesehen lohnt es sich aber auch für Sie persönlich: Nach dem Eintritt sind Sie sofort wieder im Besitz aller Rechte eines Kirchenmitglieds. Sie können Pate werden, sich an den Wahlen zum Kirchenvorstand beteiligen oder sogar für den Kirchenvorstand kandidieren. Sie können kirchlich heiraten, und Sie haben nicht zuletzt Anspruch auf eine kirchliche Bestattung. Und glauben Sie mir: Es ist gut, wenn sich eine starke, große Gemeinschaft um die Bewahrung und Pflege des christlichen Glaubens kümmert."
Das überzeugt Thomas, und er unterschreibt die Wiedereintrittserklärung. Am Abend ruft er seinen Freund an: "Ich bin in die Kirche eingetreten." Der freut sich: "Wie schön, ich wollte morgen schon jemand anders fragen." Einige Wochen später feiert Thomas seine offizielle Wiederaufnahme in die Kirche mit der Teilnahme am Abendmahl in seiner Gemeinde. Als der Pfarrer seinen Namen abkündigt, ist es ihm gar nicht so peinlich, wie er befürchtet hatte.
Kircheneintritt liegt im Trend. Heute entdecken viele Menschen neu, dass unsere freie Gesellschaft in ihren wesentlichen Teilen christlich geprägt ist. Und die sichtbaren Repräsentanten des Christlichen sind die Kirchen. Wer hier Mitglied ist, taucht ein in einen breiten Strom von Traditionen und in eine tragfähige Gemeinschaft. Der Preis dafür: bei den meisten Durchschnittsverdienern der Gegenwert von einmal im Monat gut essen gehen.