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Und wie war der Urlaub? „Schön“, seufzt Simone, „dafür, dass das wohl der letzte gemeinsame mit Timmy war.“ Timmy, der Sohn, wird 18, macht Abi, macht Führerschein und ist der ganze Stolz von Simone und Harry – meistens. Aber nicht an jedem Tag dieses Urlaubs in der Normandie. Tag des größten Ärgers: „Da sind wir nach Bayeux gefahren. Der Teppich. Du weißt schon.“ Ja, der fast 1000 Jahre alte Teppich, der die Eroberung Englands durch den Normannen William zeigt. „Und da kommt Timmy zum Frühstück in einem scheußlichen schwarzen Unterhemd, ärmellos – so ein Netzhemd halt. Ich sage nur: aber so willst du nicht ins Museum und in die Kathedrale! Und er: doch, natürlich!“
Simone war entsetzt. „Nee, das machst du nicht. So geht man nicht in die Stadt und schon gar nicht in eine Kirche!“ Aber Timmy ist der kluge Sohn ebensolcher Eltern. Aus den Augenwinkeln sieht er den Bildband auf dem Kaffeetisch, „Der Teppich von Bayeux“. Er blättert ein Bild auf, das den Eroberer und seine Leute zeigt, in roten Strumpfhosen, orangefarbigen Umhängen, grünen Blousons. So fragt er seine Mutter „Hättest du etwas dagegen, wenn ich in solchen Kleidern mitkäme?“
Du entscheidest, wie du dich anziehst und nicht der sogenannte Komment! Ich kann Timmy sehr gut verstehen. Alle reden über Genderfragen. Frauen dürfen schwarze Hosen und graue Anzüge tragen oder – zumal im Sommer – ärmellose Kleider, Röcke mit nackten Beinen und hochhackige Stilettos. Dürfen anziehen, was sie wollen. Und Männer? Wenn ich mit der S-Bahn morgens Richtung Frankfurt-Hauptwache fahre, bin ich umgeben von Kerlen in Banker-Uniform, in dunklen Anzügen mit Schlips. Würde da einer auftauchen in dem Kleid seiner Sitznachbarin, mit der Perücke eines barocken Herrschers oder wenigstens in den Klamotten des Normannen William, er würde Anlass zum Gespött, zum Geraune werden. Schau dir den an!
Welche Kleider machen welche Leute?
Wer entscheidet, was wer anzieht? Wer bestimmt den Komment? Eine imaginäre, göttliche Instanz, ein unsichtbarer Herrscher, die Mehrheit? Als ich in Timmys Alter war, proklamierte Mao einen einheitlichen grünen Arbeitsanzug als die richtige Kleidung für alle Chinesen. Und wir stritten mit Onkels und Tanten über die Frage, ob Männerhaare über den Hemdkragen hinauswachsen dürften. Ich muss Timmy einmal erzählen, wie ich in seinem Alter im dunkelblauen Nadelstreifenanzug ins Szene-Pub ging und im obligaten, mit „Make love, not war“ beschrifteten Armyparka plus Led-Zeppelin-T-Shirt, bemalten Jeans und Wildlederboots in die Bar des Fünfsternehotels. Ich wollte rausfinden, wer in Sachen Kleiderordnung weniger tolerant sei. Im Pub raunzte mich die wilde Schwester von Jimi Hendrix an: „So spießige Pinkel bedienen wir hier nicht.“ Der Barmann im Luxushotel wollte bei meinem ersten Drink Vorkasse sehen. Als ich gezahlt hatte, war alles gut. Und wenig später fragte er mich: „Darf es noch was sein, mein Herr?“
Wie geht man in die Kirche? Welche Kleider machen welche Leute? Ob Timmy den Wenzel Strapinski kennt? Wir wissen natürlich, wer das ist: Der arme Schneidergeselle aus Gottfried Kellers Novelle, in der die Liebe alle Klassenschranken und mit ihr verbundenen Kleiderordnungen sprengt. „Ja, jaaa!“, stöhnt Simone, „das erzählst du ihm mal alles. Du bist wie Harry. Bei euch älteren Herren kommt wieder die Born-to-be-wild-Nostalgie hoch. Mir geht es um was anderes.“ Das Auftreten der Deutschen! „Wir Deutsche im Ausland benehmen uns rücksichtslos gegenüber den Bräuchen, die dort herrschen. Und das geht nicht, ob in der Normandie oder in einer orientalischen Stadt. Netzhemd am Strand: ja. In einer kultivierten Innenstadt: nein!“ Und Simone würde in einem muslimisch geprägten Teil von Paris Kopftuch tragen? „In Paris nicht, aber in einer arabischen Stadt schon.“ Mhmm. Spannendes Thema.
Und was macht Timmy nach dem Abitur? Er will Jura studieren und Wirtschaftsanwalt werden. Er hat in Frankfurt so ein tolles Praktikum in einer Bank absolviert. Und in welchen Klamotten ist er dort aufgetaucht? Simone lächelt: „Natürlich hatte er sich ein schickes dunkelblaues Jackett besorgt.“