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Buchauswahl und Beziehungsglück
...wie das zusammenhängt, erklärt Ursula Ott, Chefredakteurin von chrismon. Deshalb hat sie 21 Geschichten für Frauen ausgewählt.
Tim Wegner
20.06.2013

Urlaubsgeschichten für Frauen? Muss das sein? Warum nicht für Männer, für Radfahrerinnen, für Linkshänder, für Vegetarier? Warum jetzt plötzlich – für Frauen? Also – für mich?

Frauen, ich habe mir etwas dabei gedacht. Vor allem habe ich schon viel Falsches gedacht. Zum Beispiel habe ich jahrelang gedacht, ich könnte unheimlich gut Bücher für Männer in den Urlaubs-Trolley packen. Dabei habe ich, niemals, never, gar nie in meinem Leben für einen Mann einen Koffer gepackt. Ich habe auch noch nie für einen Mann Kleider für den nächsten Tag herausgelegt. Aber ich habe schon sehr oft Bücher für Männer gekauft, bevor wir zusammen in den Urlaub gefahren sind.

Nein, schon wieder falsch. Ich habe schon sehr oft Bücher für UNS gekauft. Wenn Frauen Bücher kaufen, wollen sie gerne Beziehung herstellen. Das wollen Frauen ja sowieso quasi immer. Also ich zumindest. Wenn ich koche – selten genug –, hoffe ich mindestens auf tiefe Dankbarkeit. Im besseren Fall auf tiefgründige, lange Gespräche mit hohem Humorfaktor während des Essens. Und im allerbesten Fall auf eine grandiose Nacht. Manchmal klappt das. Aber manchmal sind Männer einfach pragmatischer. Sie haben großen Hunger, essen schnell und stumm und setzen sich anschließend vor den Tatort.

Damit muss man dann erst mal umgehen können. Mit den Büchern für den Urlaub ist es ähnlich. Jede Reise ist eine Verheißung, so wie jedes Buch eine Verheißung ist. Der fremde Ort. Der vibrierende Ton. Die aufregenden Figuren. Wie schön wäre es, am Strand diese neue Welt teilen zu können. Dieselbe Sehnsucht, dasselbe Lachen, dasselbe Glück. Aber welches Buch wird diese hohe Erwartung erfüllen? Ich kann fast alle meine Urlaube anhand solcher Versuche erzählen. Und nach vielen Urlauben kann ich mindestens drei Faktoren benennen, die das typisch weibliche Vorhaben zum Scheitern bringen, mit einem Buch im Urlaub das ganz große Beziehungsglück herzustellen. Faktor eins ist die Seitenzahl. Faktor zwei ist der Bestseller-Irrtum. Faktor drei ist das Missverständnis, ein guter Roman könne ein Gespräch ersetzen, den guten alten deutschen Satz mit Subjekt, Prädikat und Objekt.

Erstens, die Seitenzahl. Ich sage nur: Henning Mankell, „Der Chinese“. 600 Seiten, 1,5 Kilo. Als ich es gekauft habe, für einen Strandurlaub an der Cote d’Azur, waren zwei Dinge klar: Der Mann würde es lieben, Mankell ist der Großmeister der Spannung. Und Germanwings würde im Handgepäck kein zweites Buch transportieren, zu schwer. Also: „Der Chinese“, erst du, dann ich. Die ersten Tage am Strand von St. Raphael waren wunderbar. Ich las die letzten Ausgaben von „Stern“ und „Spiegel“, die wir noch ungelesen in den Koffer geworfen hatten, der Mann begann mit dem „Chinesen“. Das Buch schien spannend, denn meine Gesprächsangebote über Steuerreform und Wahlkampf, Lesefrüchte der Magazinlektüre, wurden noch nicht mal mit Kopfschütteln ignoriert. Ab dem dritten Tag wurden nicht nur meine Gesprächsangebote ignoriert, sondern meine körperliche Existenz. Ich konnte vor dem Mann im Badeanzug auf und ablaufen, keine Reaktion. Ich konnte lustige Handyfotos am Pool machen, sie waren nicht lustig. Immer nur ein Motiv: Mann mit Buch auf Liege. Bat ich ihn, mir was zu erzählen aus dem Buch, berichtete er von gefolterten Arbeitern an einer Eisenbahnstrecke in den USA. Und das, während bei 35 Grad im Schatten fröhliche französische Großfamilien juchzend ihre aufblasbaren Gummi-Delphine ins Meer trugen. Ich fing an, abwechselnd auf den Chinesen und auf den Deutschen eifersüchtig zu werden. Warum war ich plötzlich so uninteressant geworden? Und warum, verdammt, las er nicht schneller, damit ich dran kam, damit wir endlich drüber reden konnten? Männer lesen langsam. Bestimmt gibt es darüber eine Studie aus Harvard. Bestimmt lesen sie so langsam, damit sie nicht reden müssen. Der Mann hatte es genau am zweitletzten Tag zu Ende gelesen. Ich habe dann im Flugzeug noch ein paar Seiten geschafft, den Rest las ich zu Hause und verschenkte es an unsere Grafikerin. Wir unterhielten uns dann in der Kantine darüber. Mit unserer Grafikerin habe ich seither eine gute Beziehung.

Blöd: Wenn auf jeder Liege dasselbe Buch liegt

Noch fataler ist Irrtum zwei: Man kauft am Flughafen einfach das, was alle kaufen. „Der Schwarm“, wenn man ans Meer fährt. „Dampfknödelblues“ auf dem Weg in die Alpen. Überschaubare Umfänge, das können locker beide schaffen im Urlaub. Blöd ist nur, wenn am Strand von Alicante auf jeder Liege dasselbe Buch liegt. Ich hatte das mal mit dem „Schatten des Windes“ von Carlos Ruiz Zafon. Ein zauberhaftes Buch. Aber, Moment mal, wieso haben die da drüben, die so peinlich laut in ihr Handy blöken, wieso haben alle diese Menschen das gleiche Buch? Wollten wir nicht im Urlaub in eine Gegenwelt eintauchen, verwandelt, als ein anderer, eine andere zurückkommen? Auf keinen Fall wollten wir als die zurückkommen von Liege drei. Hilfe!

Den dritten Irrtum können wirklich nur Frauen begehen. Den Versuch, mit einem Buch eine große Botschaft zu überbringen. Meine Freundin Gabriele hat ihrem Mann vor einigen Jahren einen ganzen Satz Spanienbücher geschenkt. Ein Roman, ein Krimi, ein Kochbuch. Er hat auch alle gelesen. Aber er hat nicht verstanden, dass sie ihm damit sagen wollte: Du hast mir doch versprochen, wenn die Kinder aus dem Haus sind, kaufen wir eine Finca. Ich habe es übrigens auch nicht verstanden. Sie hätte einfach diesen Satz sagen sollen: Ich möchte ein Haus in Spanien kaufen! Statt dessen war sie reif für eine Paartherapie.

So habe ich im Lauf der Jahre verstanden: Es gibt nicht das eine Buch, das im Urlaub für alle gut ist. Für sie, für ihn, für den Strand, für das lange verheiratete Paar und die frisch verlassene Freundin. Und ich habe verstanden: Wie so oft im Leben sollten wir Frauen nicht die halbe Welt beglücken mit der Wahl unseres Urlaubsbuches. Sondern erst mal uns selber. Mit Geschichten, wie wir Frauen sie lieben. Voller sommerlicher Sehnsucht, mütterlicher Müdigkeit und der Frage: Warum gibt es in Damaskus keinen Nudelsalat? Ein Buch für mich allein, hurra! Denn ich, du, jeder Mensch hat im Urlaub einen eigenen Rhythmus. Und manchmal schwingt ein Buch ganz wunderbar mit. Man kommt an, voller Neugierde. Man ist bereit, neue Menschen zu treffen, man lässt sich auf sie ein, man schwätzt viel. Allmählich wird man ruhiger, man wird träge, man schläft und träumt und liest sich weit, weit weg. Und nach zwei, drei Wochen taucht man langsam wieder auf, denkt an zu Haus. Wie man die Geschwindigkeit wieder aufnehmen wird? Wie die Wohnung wohl aussieht? Wie sich Deutschland inzwischen anfühlt?

Die Geschichten, die ich ausgesucht habe, schwingen in diesem Rhythmus. Wegfahren, ankommen, da sein, heimfahren. Man kann sie alleine lesen, im Liegestuhl, im Schatten. Abends auf dem Hotelsofa, vor dem Essen. Nur für sich. Man kann sie aber auch nach der Vorspeise erzählen, es kommen keine chinesischen Sklavenarbeiter vor. Man kann sie dem Liebsten vorlesen, während er so tut, als müsse er wichtige Mails auf dem Smartphone checken. Und er kann sie mir vorlesen, während ich mir im Strandkorb die Nägel lackiere. Jeden Tag eine Geschichte. Oder alle am letzten Tag, während der Flieger die dritte Runde über dem überlasteten Flugraum von Frankfurt dreht. Oooh, echt schon Frankfurt? Schnell noch mal wegträumen nach Japan, zu diesem Liebesbrief-Schreiber . . .Ach ja, und das geht auch: Man kann einfach 21 Tage daheim auf dem Balkon bleiben und jeden Tag in eine neue Geschichte hineinreisen, das Frangipani in Thailand riechen und das nasse Fell dieser Katze in Rom. Gute Reise!

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