Der 54-Jährige Michael Bartsch ist gelernter Bäcker, kennt sich mit Computersoftware gut aus und arbeitet seit September 2011 als Bundesfreiwilliger im Berliner Internettreff "Schlange".Foto: Andreas Schoelzel/epd-bild
Wirklich immer freiwillig?
2011 wurde der Bundesfreiwilligendienst (BFD) eingeführt – als Ersatz für den Zivildienst. Das Besondere: Auch über 27-Jährige können ihn leisten. Nun stellt sich heraus, dass gerade ältere Freiwillige aus dem Osten damit ihr Einkommen aufstocken. Eine Studie deckt Schwächen des neuen Bundesfreiwilligendienstes auf
11.12.2012

chrismon: Im Osten Deutschlands sind über die Hälfte der Bundesfreiwilligen über 27 Jahre alt: Woran liegt’s?

Rabea Haß: Mein Eindruck ist, dass es unter anderem mit den Arbeits­marktstrukturen zusammenhängt. Viele finden auf dem ersten Arbeitsmarkt nichts, einige erhoffen sich den Berufseinstieg, einige wollen was dazuverdienen, einige hatten mal einen Ein-Euro-Job und machen dieselbe Arbeit unter anderem Namen.

Etikettenschwindel?

Es wäre unfair, wenn die Leute nicht diese Chance bekämen. Beim BFD können sie was Eigenes auf die Beine stellen, zum Beispiel den Schulgarten erneuern. Dass sie dafür Geld bekommen, ist ja nicht falsch. Und sie können Seminare besuchen, in denen sie ihre Arbeit reflektieren.

Können oder müssen?

Für die über 27-Jährigen sind die Seminare noch nicht verpflichtend. Manche fühlen sich anfangs in die Schule zurückversetzt und haben Angst, was falsch zu machen. Aber in der Regel wird das Angebot gut angenommen.

Was ist freiwillig daran, wenn Geringverdiener ihr Einkommen mit dem BFD aufstocken?

Darüber lässt sich streiten. Aber wir sehen, dass gerade die Älte­ren oft mit sehr viel Herzblut dabei sind. Bei keinem hatten wir das Gefühl, er ist nur wegen des Geldes hier. Viele machen nach dem Jahr ehrenamtlich weiter.

Nehmen Bundesfreiwillige anderen den Job weg?

Die meisten Einsatzstellen wollen das auf jeden Fall vermeiden. Die Frage ist eher: Müssten weitere Stellen geschaffen werden, wenn es den BFD nicht gäbe? Oder um­gekehrt: Funktionieren manche Einrichtungen wie Pflegedienste ohne Freiwillige gar nicht mehr?

Geht es beim BFD also um günstige Arbeitskräfte?

Ja und nein. Die Träger müssen ihr Betreuungskonzept vor dem Bundes­amt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben verantworten, jede Einsatzstelle muss anerkannt werden. Und die Einrichtungen können nicht sicher sein, dass sie im nächsten Jahr wieder einen Freiwilligen genehmigt bekommen. Es gibt ja nur ein festes Kontingent von 35 000 Stellen. Ausbeutung kann man aber trotzdem nie ganz ausschließen.

Gab es Beschwerden?

Bei den über 27-Jährigen eher nicht.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.