SWR
Ashwin Raman dreht Dokumentationen in Krisenregionen, er filmt einfache Menschen im Krieg und zeigt, wie Gewalt entsteht. Dafür erhält er nun den Sonderpreis des Robert Geisendörfer Preises
Tim Wegner
22.08.2012


Ashwin Raman schaut auf zwei Monitore im Mainzer Funkhaus des SWR, darauf läuft seine Reportage über Piraten in Somalia. Raman beugt sich vor, hört zu. Hinter einer Wand aus Glas sitzt der Synchronsprecher, er spricht die deutsche Übersetzung der Somalis auf dem Bildschirm. „Oh, das war viel zu schnell“, sagt Ashwin Raman in ein Mikrofon und blickt über seine Lesebrille hinweg, der Sprecher beginnt von vorne: „...man müsste an Land die Piraten bekämpfen, dann könnte man sie besiegen...“ – „Gut, gut“, Raman ist nun zufrieden, der Film fast fertig: „Im Land der Piraten – Terror vor Somalias Küste“.

Der Mann, der da so ruhig und gelassen in Hemd und Sakko sitzt, lässt nicht ahnen, dass er seit über 40 Jahren als Reporter in Krisenregionen unterwegs ist. Dort trägt er meist eine kugelsichere Weste, es kann immer mal ein Schuss losgehen. Wie im Februar 2012, als er am Strand Somalias ein gekapertes Schiff filmte, nur durch den Sucher guckte, und gar nicht merkte, dass er beschossen wurde – das Meer rauschte so laut.

Ashwin Raman ist 66, meist dreht er Dokumentationen, manchmal schreibt er für Zeitungen und Magazine. Er berichtet über Ungerechtigkeiten, Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen: ­Organhändler in Indien, Guantánamo-Häftlinge, Rassismus. Vor allem aber berichtet er über Kriege, pro Jahr ist er etwa drei Monate im Ausland unterwegs, Afghanistan, Irak, zuletzt Somalia.

Ashwin Raman stammt aus Mumbai, Indien, er ist Buddhist. Seine Eltern, Journalist und Lehrerin, waren Anhänger Mahatma Gandhis. Das Umfeld, in dem er aufwuchs, prägt ihn bis heute, Raman wurde ein unbequemer Journalist. Als Jungredakteur der „Times of India“ protestierte er gegen Indira Ghandi und dagegen, dass die Presse­freiheit eingeschränkt wurde. Dafür landete er im Gefängnis. 1975 flüchtete er mit der Hilfe von amnesty international nach Deutschland, schrieb für den „Spiegel“, „Die Zeit“ und die „Los Angeles Times“. Anfangs mussten seine Texte übersetzt werden, heute spricht er die Sprache fließend, er lebt bei Dortmund.

Das Filmen hat er sich selbst beigebracht. Den ­ersten, „With the Sandinistas“, drehte er 1978 über den Bürgerkrieg in Nicaragua, mit einer 16-mm-Kamera, die er sich gebraucht gekauft hatte. „Der Film war verwackelt – und wurde nur gekauft ­wegen der exklusiven Informationen“, sagt Ashwin Raman. Er selbst wurde immer besser, die ­Geräte auch, insgesamt drehte er seither über 200 längere Dokumentarfilme.


Eine einsame Arbeit, er sieht viel Leid und viele Tote


Er bedauert, dass ARD und ZDF – im Gegensatz etwa zur BBC – so sehr auf Einschaltquoten fixiert seien, dass nur wenige Auslandsreportagen gezeigt werden, und wenn, dann oft auf schlechten Sendeplätzen, kurz vor Mitternacht oder sogar danach. „Dafür habe ich dann mein Leben riskiert?“, sagt er. Dennoch: „Mein Glück sind die Redakteure, mit denen ich arbeite, sie lassen mir viel Freiraum.“ Zu Recht, Ramans Dokumentationen sind vielfach ausgezeichnet, mit dem internationalen CNN-Rory-Peck-Award oder dem Deutschen Fernsehpreis. Nun kommt noch einer dazu, am 25. September erhält er den Sonderpreis der Jury des Robert ­Geisendörfer Preises 2012.

Ashwin Raman hat hohe Ansprüche an sich und seine Branche. Die Wahrheit zu zeigen, unverfälscht, das ist sein Anspruch. Wenn Kollegen sich vom US-Militär erklären lassen, wie die Lage im Irak ist oder „Bundeswehr-Hofberichterstattung“ machen, anstatt selbst nachzurecherchieren, ärgert ihn das sehr. „Mit Vorsicht und gesundem Menschenverstand lässt sich durchaus authentisch berichten“, schrieb er einmal in der „Tageszeitung“.
Und wenn ein TV-Auslandskorrespondent seinen Aufsager auf dem Hotelbalkon in die Kamera spricht statt von der Demonstration auf dem ­Tahrir-Platz in Kairo, dann sei der fehl am Platz, meint Raman. „Keiner soll sein Leben aufs Spiel setzen.“ Aber ein bisschen Mut müsse schon sein.

Auf jede Reise bereitet er sich akribisch vor, wie viele Akkus, welche Kleidung, welche Kontakte habe ich vor Ort, wen wähle ich als Bodyguard? Dazu Landeskunde, Politik, Gesellschaft. Raman reist ohne Kamera- und Tonleute, grundsätzlich. Er nennt sich Ein-Mann-Team, filmt mit kleiner Digitalkamera, so kommt er näher an die Menschen heran.

Eine sehr einsame Arbeit, er sieht viel Leid und viele Tote. „Man ist allein mit seinen Gedanken beim Filmemachen“, sagt Raman. Seine Familie kommt ihm dann in den Sinn. „Und die Hoffnung, dass ich lebend heimkehre.“

Für seine Dokumentationen spricht er mit den einfachen Leuten, mit Dorfbewohnern, Flücht­lingen, Soldaten, Gefangenen oder Terroristen, er zeigt alle Seiten eines Konflikts, erzählt, statt zu werten. Er hat auch schon Militärs begleitet, 2007  etwa reiste er zu US-Truppen in den Irak. Ashwin Raman wurde Zeuge von Übergriffen einiger irakischer Soldaten auf Gefangene, Raman filmte heimlich, wie die US-Soldaten sich über die Opfer lustig machten. Er veröffentlichte das Material – und die Seargents wurden suspendiert, die Truppe aufgelöst.

Manchmal nimmt er sich Bodyguards, um sich zu schützen. In Somalia begleiteten ihn bis zu 20 Leibwächter. Wenn er unterwegs ist, versucht er, über sein Satellitentelefon jeden Tag einmal bei seiner Frau in Nordrhein-Westfalen anzurufen, um sie und die beiden Söhne zu beruhigen. Das ist eben so: Er hat diesen Antrieb, der Welt zu zeigen, was in Kriegsgebieten los ist, er kann nicht anders. Und die zu Hause sind, sorgen sich.

Man muss in diesem Beruf auch ein bisschen Glück haben. Somalia gilt als das gefährlichste Land der Welt, die UNO nennt es einen gescheiterten Staat, die Truppen der Übergangsregierung und der radikalislamischen Al Shabaab bekämpfen sich; Hunderttausende Somalis sind geflohen. Nur wenige ausländische Reporter trauen sich dorthin. 2009 begrüßte ihn am Flughafen von ­Mogadischu ein Zollbeamter mit den Worten: ­„Guten Tag, Sie sind der einzige zivile Ausländer in Mogadischu.“


Nur knapp war er einer Entführung durch die Piraten entgangen


Es ist, sagt Raman, in Krisengebieten nicht dauernd zum Fürchten. Dort herrscht auch Alltag, Leute stehen an, um ihre Essensrationen entgegenzunehmen, sie versorgen ihre Kinder, kümmern sich um ihre Alten, verkaufen Obst auf dem Markt, Normalität, unterbrochen von Gefechten oder Bombenanschlägen.

„Eine Nacht werde ich nie vergessen“, erinnert er sich, er saß in seinem Hotelzimmer in Moga­dischu, draußen feuerten Regierungstruppen und Anhänger der Al Shabaab aufeinander. Von 21 Uhr bis morgens fünf dauerte das Gefecht, auch in sein Zimmer schlug eine Kugel ein. „Da dachte ich einen Moment, das ist das Ende.“ Er rief seine Frau an: „Ich habe Angst“, rief er, sie hörte die Salven: „Komm zurück“, drängte sie. Er blieb.

Nie, sagt Ashwin Raman immer wieder, würde er eine Story über sein Leben stellen. Warum er damals Mogadischu nicht sofort verließ? „Ich vertraute dem Hotelier, ich wusste, dass ich in guten Händen war.“ So entstand 2009 seine Reportage „Somalia – Land ohne Gesetz“ über die verfeindeten Lager im Land und die Antiterrorstrategie der USA.

Anfang dieses Jahres flog er wieder nach Somalia. „Ich musste doch auch noch über die Piraten berichten, Piraterie gehört schließlich zu Somalia“, sagt Ashwin Raman. Vier Wochen war er im Hinter­land unterwegs, Piratenbosse sollen dort Hunderte Geiseln gefangen halten; drei Wochen verbrachte Raman auf der Fregatte „Lübeck“ der Bundesmarine, die am Horn von Afrika einer Antipirateriemission folgte.

Als allerdings einer seiner Interviewpartner – „ein selbst ernannter stellvertretender Außenminis­ter“ – behauptete, auf die Information über Ramans Aufenthaltsort sei ein Kopfgeld von 500 000 US-Dollar ausgesetzt worden, reiste er sofort ab. Im Nachhinein erfuhr er: Nur knapp war er einer Entführung durch die Piraten entgangen.

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