chrismon: Sie sind jetzt 44 Jahre alt und haben bislang nie in Deutschland fotografiert, sondern zum Beispiel in Indien, Thailand, Nepal. Warum nun auf einmal Deutschland?
Peter Bialobrzeski: Weil sich meine Fußfessel hier geschlossen hat: 2002 bekam ich die Professur in Bremen, ich konnte also nicht mehr so viel reisen. Ich hatte Deutschland eigentlich immer im Hinterkopf, hab aber immer gekniffen. Jetzt wollte ich es mal probieren. Ich wollte etwas machen, was sich ein bisschen mit den Wurzeln beschäftigt, die man hat.
Haben Sie heimatliche Gefühle für Deutschland, für deutsche Landschaften?
Ja. Ich hab hier Wurzeln, aber ich bin hier nicht verwurzelt, ich könnte woanders leben, zum Beispiel in Thailand. Ich bin in Wolfsburg aufgewachsen, und geprägt hat mich in meiner Kindheit die niedersächsische Landschaft, flach, viele Zäune. Aber was einen prägt, das hat nicht nur mit Kindheit zu tun, sondern auch mit Kunstgeschichte. Selbst wenn man Caspar David Friedrich und seine Nebel- und Meerbilder nie in der Schule hatte, hat man doch eine bestimmte Art mitbekommen, in die Landschaft zu sehen.
Sie haben Deutschland schön fotografiert, mit freundlichen Augen.
Wir haben das deutsche Garagentor und den deutschen Beton in der Fotografie in den letzten zehn Jahren unglaublich gut vorgeführt gekriegt, da musste ich das nicht auch noch machen. Mich interessierte: Gibt es eine Möglichkeit, dieses Land schön zu fotografieren, ohne in ästhetische Klischees abzurutschen?
Was wären denn Klischees?
Es gibt die Kalenderfotografie mit deutschen Landschaften, mit Fachwerkhäusern, Marktplätzen das ist so eine süßliche Überrumpelung. Da bin ich viel puristischer.
Schön ist zum Beispiel ein deutscher Buchenwald im Herbst. So was haben Sie nicht fotografiert.
Kalenderfotos funktionieren wie Pornographie
Solche Kalenderfotos funktionieren nicht viel anders als Pornographie: schnelle visuelle Auslösereize boah, angetörnt und dann das nächste. Das hat sich total schnell erledigt. Auch beim Buchenwald ist sofort der Grund des Fotos klar: Das ist ein roter Buchenwald, und der hat schön zu sein. Ein komplexeres Bild funktioniert anders. Man bleibt ein bisschen hängen, weil es offener ist, weil es Zweifel weckt, Gedanken anspricht... Vielleicht wollte ich die Schönheit intransparenter machen, mit ein paar Fragen dabei.
Anderes typisches Beispiel: ein Sonnenuntergang am Meer. Der wirft auch keine Fragen auf?
Nö.
Und dieses Strandbild von Ihnen, inwiefern wirft das Fragen auf?
Zunächst ist es schön, auf eine unspektakuläre Weise. Und dann sieht man, dass sich die Menschen Zelte als Windschutz aufbauen, ihre Inseln, und erst in diesem Muster bekommt das Bild eine ästhetische Komponente, die wir schön finden. Aber ich weiß nicht, ob ich es schön finden würde, dort jetzt tatsächlich zu sitzen.
Auf Ihren Bildern sind immer auch Menschen drauf. Die fahren Ski, planschen, wandern oder stehen einfach nur rum und gucken. Erstaunlicherweise stören sie nicht.
Man kann die Sehnsucht nach der Natur heute nicht mehr alleine genießen. Natürlich hätte ich es darauf anlegen können, die Landschaften völlig leer zu fotografieren. Aber meistens sind andere in roten Goretexjacken auch schon da und leben ihre Sehnsucht nach der Natur aus.
Schönheit ist immer was Gewolltes
Hätten Sie die deutschen Strände auch hässlich fotografieren können?
Klar. Schönheit ist immer was Gewolltes. Ich finde sofort an jedem Strand angespültes Zeug, von mir aus auch hässliche Dicke, und man kann Papierkörbe anblitzen man kann mit jedem Werkzeug die Dinge verführerisch oder weniger verführerisch beschreiben.
Werden Sie kritisiert für Ihre schönen Fotos?
In der Fotoszene gibt es schon den einen oder anderen, dem das nicht zusagt. "Das kann man doch nicht machen! Das ist neokonservativ!" Schönheit ist immer noch ein bisschen verpönt in der Kunst. Es wird immer nach einem Bruch gesucht. Meine Bilder sind nicht frei von Brüchen, aber die sind subtil. Ich finde auch nicht, dass meine politische Ansicht für meine künstlerische Arbeit relevant ist. Ich muss nicht auch noch Kunst über Armut, Folter, Umweltverschmutzung machen, das haben schon genug andere getan. Aber vor 15 Jahren hätte auch ich wahrscheinlich eine extrem politischeArbeit gemacht.
Abgesehen von einigen Ihrer Kollegen beim Publikum kommen die Bilder gut an. Gibt es ein neues Bedürfnis nach Schönheit und auch die Bereitschaft, zu diesem Bedürfnis zu stehen?
Ja, ich glaube, es ist eine Offenheit dafür entstanden. In der Kunst gab es ja schon ein paar Beispiele, die sich dem Schönen zugewandt haben; die Malerei ist wieder da nach dieser ganzen Videoinstalliererei.
Es gibt diverse Motive in Ihrem Buch, wo ich sagen würde: Da hätte ich jetzt auch draufgehalten. Aber meine Fotos hätten nie so ausgesehen wie Ihre.
Weil Sie sich nicht drei Stunden da hinstellen und warten, dass das Licht so ist, dass diese Figürchen nachgezeichnet werden, und warten, dass die Figürchen einander nicht verdecken... Es dauert drei Tage, bis mir ein gutes Bild gelingt.
Drei Tage?
Inklusive Regen- und Fahrtagen. Im Elbsandsteingebirge war ich sogar fünf Tage, um ein Bild zu machen, ich hab Stunden auf einer Brücke gefroren, bin weggefahren, wieder hingefahren. Ich hab gewartet, dass die Sonne nicht zu sehr scheint, dass es nicht zu verhangen ist, dass die Leute richtig stehen und es gingen nur selten welche auf diesen exponierten Aussichtspunkt.
Und was haben Sie für eine Kamera?
Eine Großformatkamera, also eine Plattenkamera. Der Vorteil ist, dass Sie wahnsinnig viel Information pro Quadratzentimeter haben, da bekommen Sie zum Beispiel Übergänge hin wie bei den Wolken. Aber jeder Schuss kostet fünf Euro. Ich mach am Tag maximal zwölf Fotos.
Muss man mit einer Plattenkamera auch anders arbeiten?
Man ist gezwungen, eine ganze Menge Entscheidungen vorher zu treffen und nicht erst hinterher beim Durchklicken der digitalen Daten. Ich muss mir vorher genau überlegen, welchen Standpunkt ich einnehme, wo ich mein Stativ hinstelle. Hinterher werden die Bilder ganz pur in der Dunkelkammer gemacht, da hat kein Computer was mit zu tun. Man arbeitet also sehr viel durchdachter. Wenn man sich hinstellt und wartet, nimmt man die Dinge auch anders wahr, als wenn man an jeder Ecke was knipst.
Das macht keinen Spaß, das ist harte Arbeit
Das klingt ja alles sehr aufwendig. Und anstrengend.
Die meisten Leute denken, meine Fotografiererei mache unheimlich viel Spaß. Das macht keinen Spaß, das ist harte Arbeit. Es muss anstrengend sein. Leichte Fotos, zum Beispiel das deutsche Garagentor, das ist zu einfach. Man knipst das ab, es sieht hässlich aus, und jeder weiß, was gemeint ist, das fand ich immer langweilig. Mich faszinieren Fotografen, wo man merkt, dass die unglaublich gearbeitet haben, um ihre Vorstellungen zu verwirklichen.
Welche Fotos haben Sie denn als nicht gelungen aussortiert?
Zum Beispiel Bilder, die zu schön waren. Es gibt eine Serie von Fotos, da würden alle durchdrehen, so schön sind die. Da brach der letzte Sonnenstrahl knallrot durch verschneite Tannen, irgendwo im Schwarzwald. Ich hab das fotografiert für mein Archiv und auch, um es loszuwerden. Ich wusste von vornherein, das würde überhaupt nicht in Frage kommen, weil diese Bilder alles sofort beantworten. Aber es war natürlich total schön, da zu sein. Es ist auch total schön, im Restaurant zu essen, aber das Allerletzte sind Restaurantmagazine.
Sie sind ein Großstädter, leben in Hamburg. Nun waren Sie monatelang in der Provinz unterwegs. Haben Sie jetzt ein neues Verhältnis dazu?
Es gibt natürlich viele Orte, wo Tschingderassabum ist, schreckliche Kneipen und fürchterliche Hotels. Fast nicht zu ertragen ist so ein Ort wie Oberwiesenthal im Erzgebirge, da kamen die ganzen DDR-Skispringer her. Es gibt aber auch Orte, die sich ganz gut anfühlen. Seltsamerweise der Skiort Oberstdorf. Dort gibt es eine ganze Menge Gastwirtschaften, die groß und laut sind und noch nicht auf Fitnessgastronomie machen. Da wird seit Jahrhunderten gut gekocht, man versorgt die Leute einfach gut, weil man das so macht. Das sind Dinge, die ich mag.